Der Lebenssinn der Industriegesellschaft

Ausgabe: 1991 | 1

In der gegenwärtigen Wissenschafts- und Technikfeindschaft sieht Lübbe "eine randgruppenhafte Befindlichkeit", die jedoch nicht unterschätzt werden dürfe. Deshalb untersucht er die Gründe für diese Haltung. Neben der ökologischen Krise gibt es eine Reihe subtil wirkender Ursachen wie Erfahrungsverlust, Bedeutsamkeitsverlust wissenschaftlicher Weltbilder, zunehmende Unsicherheitserfahrung und schwindende Risikoakzeptanz sowie eine "abnehmende Reichweite unserer Zukunftsaussicht" . Die wachsenden Folgelasten der technischen Zivilisation verändern nach Ansicht konservativer Fortschrittsideologie aber keineswegs unsere grundlegenden Werte: Wohlfahrt und Freiheit sind unveränderte Lebensvorzüge der modernen Industriegesellschaft. Unsere Schwierigkeiten können durch politische, ökonomische und wissenschaftlich-technische Gegensteuerungsmaßnahmen einfach behoben werden. Die technische Evolution erhöht dabei keineswegs die Wahrscheinlichkeit des Totalitarismus, im Gegenteil. Mit Hilfe moralisch-kultureller Zielvorgaben des Gemeinsinns als souveräne Instanz kann und soll der Fortschritt weitergehen. Keineswegs überraschend hält Lübbe neue Gesellschaftsentwürfe für unbrauchbar. Alternative Lebensformen entfalten sich aus dieser Perspektive komplementär zur Modernität der Industriegesellschaft. Die moralische Urteilskraft Lübbes, die nicht nur auf Fachwissen, sondern überraschend auch auf praktische Lebensorientierung zur Gewichtung von Nutzen und Nachteil der Mittel setzt, scheint im ängstlichen Bangen um den Status quo aufs äußerste reduziert. Die mit zunehmendem Ernst der Lage empfohlene "Verpflichtung zur Zuversicht" allein auf technische Evolution zu reduzieren, ist in Anbetracht der vielfach schon in Angriff genommenen sozialen Innovationen schmerzhaft beschränkt. Fortschrittsideologie Gesellschaftskritik: konservative

Lübbe, Herrmann: Der Lebenssinn der Industriegesellschaft. Über die moralische Verfassung der wissenschaftlich-technischen Zivilisation. Berlin (u. a.): Springer-Verl., 1990.224 S. (Edition SEL-Stiftung) DM 32,- 1 sFr 27,10 1 öS 249,60