Als soziale Erfindungen gelten auch neue institutionelle Arrangements, die dazu beitragen, die Lebenssituation von Menschen zu verbessern. Die Einführung von sozialen Sicherungssystemen, die zur Abfederung von Lebensrisiken wie Erkrankung oder Erwerbslosigkeit geschaffen wurden, gilt demnach als genuine soziale Erfindung ebenso wie die Demokratie selbst, die in ihrer rudimentären Form zumindest Machtwechsel ohne Gewalt ermöglicht. Wenn institutionelle Arrangements an die Grenzen ihrer Problemlösungsfähigkeit gelangen, sind neue Settings gefragt. Dies gilt insbesondere für die Arbeitswelt in allen spätindustriellen Gesellschaften. Das Bild des 40-Stunden-Vollzeitjobs stammt aus der Industriegesellschaft mit einem dominierenden männlichen Alleinernährer als Industriearbeiter. Die Berufstätigkeit des Großteils der Frauen, der Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft sowie nicht zuletzt die enormen Produktivitätsfortschritte im sekundären Sektor (Stichwort: Automatisierung) machen neue Arbeitszeitmodelle nötig und auch möglich.
In einem vom Club of Vienna herausgegebenen Band mit der provokanten Fragestellung „Arbeit: Wohl oder Übel?“ werden solche sozialen Innovationen am Arbeitsmarkt thematisiert. „Wenn Menschen heute ohne Arbeit sind, meint man in der Regel, ohne bezahlte Beschäftigung, und hat den ebenso wichtigen Aspekt von Befriedigung, ja Glück, die man auch in der Arbeit finden soll, übersehen“, meint Hermann Knoflacher in der Einleitung (S. 8). Arbeit vom Kapitalwachstum abhängig zu machen, sei die gleiche Umkehrung, wie die Behauptung, die Menschen seien für die Wirtschaft da und nicht umgekehrt, so der Präsident des Club of Vienna, der für eine Wirtschaft der Nähe einritt. Der Soziologe Paul Kellermann schlägt in dieselbe Kerbe, wenn er meint, dass weder Arbeit noch Arbeitsplätze ´geschaffen´ werden müssten, „sondern es müssen Leistungen mit Hilfe entsprechender Arbeitsorganisation erbracht werden“ (S. 15). Bedürfnisse und Leistungsvermögen der Gesellschaftsmitglieder müssten somit immer wieder neu austariert werden, in hochproduktiven Ökonomien stelle daher die „sozial ungleiche Geldverfügbarkeit“ (S. 22) die größte Herausforderung dar. Die gesellschaftliche Arbeitsorganisation sei „unvernünftig gesteuert“, wenn „Menschen ungestillte Bedürfnisse und qualifiziertes Arbeitsvermögen haben, aber im Erwerbsarbeitsprozess nicht beteiligt sind“ (S. 27).
Zwei Wege gibt es aus diesem Dilemma – beide werden in weiteren Beiträgen des Bandes thematisiert: Die bessere Verteilung des erwirtschafteten Sozialprodukts durch eine Neuverteilung der notwendigen Erwerbsarbeit (die Geschäftsführerin des Sozialunternehmens abz*austria, Manuela Vollmann, beschreibt flexible Arbeitszeit- und Jobsharing-Modelle, die Erwerbs- und Sorgearbeit für beide Geschlechter ermöglichen) oder die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens (wofür der Soziologe Sascha Liebermann und der Arbeitspsychologie Theo Wehner in ihrem Beitrag plädieren). Auch wenn man den beiden nicht folgen will, so bleibt unbestritten, dass das sinkende Erwerbsarbeitsvolumen bei steigender Produktivität neue Arbeitszeitmodelle sowie eine weitere Ausweitung von steuerfinanzierten Transfereinkommen sinnvoll erscheinen lassen. Dies belegen die weiteren dem Niedriglohnsektor sowie der Frage einer möglichen Pionierrolle von Frauen im Arbeitsmarkt der Zukunft gewidmeten Beiträge. Hans Holzinger
Arbeit: Wohl oder Übel? Diagnosen und Utopien. Hrsg. v. Club of Vienna. Wien: Mandelbaum, 2015. 169 S., € 12,50 [D], 13,- [A] ISBN 978-3-85476-642-1