Bürger. Macht. Politik.

Ausgabe: 2012 | 2

Nach „Empört Euch“ heißt nun der viel beachtete Aufruf des Bestsellerautors Stéphane Hessel „Engagiert Euch!“ Das freilich meint nicht nur der prominente französische Widerstandskämpfer. Um die Gestaltung von Politik als Recht und Pflicht eines neuen selbstbewussten Bürgertums aus einer partizipativen und verantwortlichen Haltung heraus geht es auch in dem Band des ehemaligen FDP-Politikers Christoph Giesa. Er nennt es die „Kunst, für etwas zu sein“ (Kapitel 2) nach dem Motto „Dafür ist das neue Dagegen“ (vgl. S. 120ff.). Protest allein genügt längst nicht mehr, vielmehr sind jetzt die engagierten Bürgerinnen und Bürger am Zuge, mit den Mitteln der Demokratie Zukunft zu gestalten. Bekannt geworden ist der Autor im Frühsommer 2010 durch seine Facebook-Kampagne für Joachim Gauck zur Kandidatur zum Amt des Bundespräsidenten und das, obwohl die FDP damals bekanntlich gemeinsam mit der CDU/CSU den späteren Wahlsieger Wulff ins Rennen geschickt hatte. Gauck ist es auch, der im netten Vorwort schreibt: „Wir brauchen das hartnäckige Engagement für grundsätzliche Zukunftsfragen unserer Demokratie“ (S. 13), das den Autor auszeichnet.

 

Giesa wehrt sich zunächst gegen den Ausdruck Wutbürger, mit dem er nicht viel Positives verbindet und kritisiert – keineswegs originell und neu – auch altes Denken, alte Strukturen (vgl. S. 18) und Vetternwirtschaft innerhalb der Parteien. Diese seien gegenüber dem Bürger oftmals ignorant, verständnislos und bevormundend, so der Blogger und Kolumnist. Den Grünen attestiert er, dass sie „bei den Themen Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie von allen Parteien am progressivsten aufgestellt“ seien (S. 208). Durchaus selbstkritische Züge zeigen seine Rückblicke auf die eigene politische Karriere, wenn er anmerkt, wie oft er falschgelegen sei, seine Meinung revidiert und mit seiner Partei gehadert habe. Betroffen machen hingegen Rekurse auf Enteignungspraktiken in Deutschland wie sie etwa den Bauern in Gorleben wider- fahren sind. Auf seinen anekdotenreich beschriebenen Streifzügen durch Deutschland etwa zum Stuttgarter Hauptbahnhof, in die Bundesversammlung und die Kongresse von Verbänden und Parteien nimmt Giesa seine Leser mit, um anhand von Beispielen den Status quo unserer res publica zu erörtern.

 

 

 

Was zu tun ist

 

Der letzte Abschnitt ist folglich dem Thema gewidmet „Was jetzt zu tun ist“. Einfache Antworten darf man sich dazu vom Autor aber nicht erwarten. Ganz in der Tradition unseres Mentors Robert Jungk geht aber auch Giesa davon aus, dass die Realität durch viele kleine Aktionen gemeinsam verändert werden kann. „Mit gutem Beispiel vorangehen und Fakten schaffen: Das ist das, was zählt, wenn man den Anspruch hat, gestaltend zu wirken und nicht nur zu meckern.“ (S. 210) Sein „kleines Manifest für eine Politik 2.0“ enthält eine Liste mit Forderungen und Vorschlägen, die man allesamt unterstreichen kann. Darunter findet sich der Hinweis auf die neuen, unkontrollierbaren Möglichkeiten von Information und Austausch für alle durch Hyperlinks und Blogs, Facebook und Wikis ebenso wie die Hinweise auf die Tatsache, dass Politik nicht mehr als Geheimsache betrieben werden könne und „communities“ im Netz inzwischen längst ohne Parteigrenzen funktionieren. Von diesen fordert Giesa, dass sie mit der Zeit gehen und ihre Strukturen so anpassen, „dass es wieder für eine größere Zahl von Menschen attraktiv erscheint, an der Ausgestaltung der Demokratie im Rahmen von Parteien mitzuwirken“ (S. 209). Leichter umzusetzen scheint dies auch durch die Tatsache, dass immer weniger Themen klassischen Lagerkriterien zuzuordnen seien. Weitere interessante Denkanstöße gibt der Autor zum Thema „liquid democracy“ (s. a. ), einer Mischform zwischen indirekter und direkter Demokratie. Giesa hält dieses Modell – bei Abwägung aller Vor- und Nachteile –, letztlich für eine erweiterte und verbesserte Umsetzung der repräsentativ-demokratischen Idee. Weitere Anregungen beziehen sich auf eine stärkere Trennung von Exekutive und Legislative und zu Bürgern als Schöffen in den Parlamenten, ohne für diese Vorschläge schon Patentlösungen parat zu haben. Anregend und lesenswert!

 

A. A.

 

Giesa, Christoph: Bürger. Macht. Politik. Mit einem Vorwort von Joachim Gauck. Frankfurt/M. (u.a.): Campus, 2011.225 S., € 18,50 [D], 19,10 [A], sFr  25,90 ;  ISBN 978-3-593-39465-7