Volk, Volksgemeinschaft, AfD

Ausgabe: 2017 | 4
Volk, Volksgemeinschaft, AfD

[caption id="attachment_10115" align="alignleft" width="177"] AfD[/caption]

Wer ist das Volk bzw. wer gehört dazu und wer nicht? „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, heißt es im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. „We the people of the United States“, so beginnt die Präambel der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika aus dem Jahr 1787. „Wir sind das Volk“ haben 1989 die Demonstranten in Leipzig, Berlin und anderswo gerufen. Heute beruft sich die AfD ebenfalls auf das Volk (sie ist nach propagiertem Selbstverständnis „Lobbypartei des Volkes“), jedoch in Gegnerschaft zur politischen Elite. Es geht hier aber auch um die Untiefen in jener Zeit, in der vom „völkischen“ Volk und dem Ausschluss all jener die Rede war, die nicht zur Volksgemeinschaft gehören sollten. „Volk und Volksgemeinschaft sind politisch, kulturell und sozial definierte Gemeinschaften, bei denen stets um die Zugehörigkeit, um Inklusion und Exklusion, gekämpft wurde.“ (S. 12) Der Berliner Historiker Michael Wildt hat sich die Begriffsgeschichte seit der Antike angesehen und empfiehlt letztlich, sich auf Hannah Arendt zu besinnen und Menschen, die das Recht haben, Rechte zu haben, in den Mittelpunkt des politischen Denkens zu stellen.“ (S. 13)

Mit dem Begriff Volk gingen immer Abgrenzungen nach oben und unten, nach innen und außen einher. „Das Staatsvolk will nichts gemein haben mit dem Pöbel, der Menge, den Massen; allein das Wort Volksherrschaft, gar in der Doppelung Volksdemokratie, ruft die Assoziationen Terror, Anarchie und Willkür hervor.“ (S. 15) Im antiken Griechenland gehörten zum Volk („demos“) weder Frauen noch Sklaven und Fremde, sondern nur besitzende, waffenfähige, athenische Männer. Das Volk, beschworen in der nordamerikanischen Verfassung, umfasste freie, weiße Männer, keine Frauen, Sklaven und Indigene. Erst Immanuel Kant verstand das Volk nicht mehr als Abstammungs-, Sprach- oder Kulturgemeinschaft, sondern als eine durch das Recht geordnete „Menge Menschen“. Gemeint waren damit aber wiederum nur wirtschaftlich selbständige Männer; Frauen, Knechte und Dienstboten waren davon immer noch ausgeschlossen.

Umfassend analysiert der Autor die Verwendung des Begriffs „Volksgemeinschaft“ in der Weimarer Republik und das „Völkische Empfinden“ im Nationalsozialismus. Schließlich geht es darum, wie „die Volksgemeinschaft eben dann wieder ins politische Vokabular zurückkehrt, wenn sowohl entfremdende Globalisierung, Vereinzelung, Verlust an Heimat und Solidarität kritisiert als auch Kriterien von Zugehörigkeit und Exklusion erneut politisch debattiert und ausgehandelt werden“ (S. 90). Auch in Deutschland ist der Populismus nicht erst mit der AfD (2013 gegründet) entstanden. Mit dem Aufkommen dieser Partei droht Wildt zufolge keine Wiederkehr der alten Volksgemeinschaft, aber eine Verharmlosung ihrer Geschichte. Die Verwendung der Begriffe „Volksgemeinschaft“ oder „völkisch“ ist innerhalb der AfD seiner Ansicht nach erst wieder salonfähig geworden. Aber auch in der Auseinandersetzung mit dieser „Alternative“, die sich vehement auf das Volk beruft, geht es um unterschiedliche Volkskonzepte. Jedenfalls könne der Begriff des Volkes in der Hand von Populisten dazu führen, „kulturell, ethnisch exkludierende Gemeinschaften zu schaffen und einzelne Staaten wie gated communities abzuschotten –  in der vergeblichen Hoffnung, damit globale Probleme lösen zu können und Zukunft zu gewinnen“ (S. 140). Michael Wildt meint abschließend, dass das Volk nicht tot ist, aber es hat sich überlebt und es komme jetzt darauf an, uns als Menschen mit gleichen Rechten und gleicher Freiheit zu verstehen, die dabei sind „in Deutschland, in Europa und anderswo ihre politischen und sozialen Beziehungen neu zu regeln“ (S. 143). Demokratie bedürfe permanenter Erneuerung, so der Autor. Er ist sich darin einig mit zahlreichen Autoren (siehe diese PZ), die Demokratie als permanenten Auftrag an die BürgerInnen sehen. Alfred Auer

 Bei Amazon kaufenWildt, Michael: Volk, Volksgemeinschaft, AfD.Hamburg: Hamburger Edition, 2017. 156 S.,  € 12,- [D], 12,40 [A] ; ISBN 978-386854-309-4