Schnelles Denken, langsames Denken

Ausgabe: 2013 | 1

Der Rasen ist ordentlich geschnitten, die Rezeptionistin macht einen kompetenten Eindruck, und das Mobiliar ist geschmackvoll. Ich gehe davon aus, dass das Hotel ein gutes Management hat. Das ist schnelles Denken. Wenn man sich dieses Beispiel aus dem Buch von Daniel Kahneman (S. 194) noch einmal durchliest, wird klar, dass der Eindruck, den eine Rezeptionisten hinterlässt und die Länge der Grashalme keine solide Grundlage für die Entscheidung über die betriebswirtschaftliche Führung eines Tourismusunternehmens sein kann. Und doch war es uns sofort plausibel. Kahneman hat sich in seinem Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“ daran gemacht, die Struktur unserer Alltagsentscheidungen, die Entscheidungen von uns Menschen genauer unter die Lupe zu nehmen.

System 1

Die erste Unterscheidung Kahnemans bei seiner Analyse menschlichen Verhaltens ist die zwischen schnellem und langsamem Denken. Beim schnellen Denken geben wir oft auf eine schwierige Frage die Antwort auf eine andere, leichtere Frage, ohne dass wir die Ersetzung bemerken. In unserem Beispiel gaben wir auf die Frage: „Ist dieses Hotel gut geführt?“ die Antwort, die zur Frage gehörte: „Ist der Rasen vor kurzem geschnitten worden und welchen Eindruck macht die Rezeptionistin?“ Dieses schnelle Denken gibt logischerweise oft falsche Antworten. Es ist aber aus unserer Welt nicht wegzudenken. Denn dieses vereinfachende, oft emotionale, Denken ist verantwortlich für sehr viele richtige Entscheidungen, vor allem im Alltag. Aber es gibt Lebensbereiche, wo man mit schnellem Denken viele Fehler macht. Kahneman nennt dieses Denken das System 1.

System 2

System 2 ist das langsame Denken. Das aufmerksamkeitsgesteuerte „System 2“ äußert „Urteile und trifft Entscheidungen, aber es unterstützt oder rationalisiert oftmals Vorstellungen und Gefühle, die von System 1 erzeugt werden.“ (S. 514) Kahneman plädiert für mehr langsames Denken in bestimmten Lebensbereichen. Man solle Anzeichen dafür erkennen, wenn man sich in einem kognitiven Minenfeld bewegt, und dann mental einen Gang zurückschalten und „System 2“ um Verstärkung bitten. Wie aber erkennt Mensch, dass er sich in einem solchen Minenfeld bewegt? Erstens: Das schnelle Denken kann schlecht mit statistischen Wahrscheinlichkeiten und Zahlen umgehen. Zweitens: Grundsätzlich hilft die soziale Einbettung, in der man sich gegenseitig beim Erkennen dieser Bereiche unterstützt. Zur Abrundung: Ein Schläger und ein Ball kosten 1,10 Euro. Der Schläger kostet einen Dollar mehr als der Ball. Wie viel kostet der Ball? Sie errechnen sicherlich die Zahl 10, zehn Cent. Und, merken Sie etwas?

Das erlebte und erinnernde Selbst

Kahneman führt in seinem Buch auch die Unterscheidung zwischen dem erlebenden Selbst und dem sich erinnernden Selbst ein. Während das erlebende Selbst die Erfahrungen macht, führt das sich erinnernde Selbst Buch und trifft die Entscheidungen. Es gibt dabei das Problem, dass das sich erinnernde Selbst oft wenig ideale Entscheidungen trifft, vor allem wenn die Zeit eines Vorgangs von Bedeutung ist. Ein Beispiel: Hände in 15 Grad kaltes Wasser zu halten ist schmerzhaft, aber nicht unerträglich. Lassen sie 10 Personen 60 Sekunden lang ihre Hände in 14 Grad kaltes Wasser halten. Warten sie sieben Minuten. Lassen sie nun 10 Personen erneut ihre Hand 60 Sekunden in 14 Grad kaltes Wasser halten, erwärmen sie dann das Wasser geringfügig auf 15 Grad, die Hand bleibt weitere 30 Sekunden ohne Unterbrechung im Wasser. Danach fragen Sie die Personen, welchen Versuch sie wiederholen würden, wenn sie denn müssen. Im Test entscheiden sich acht von zehn Personen für den zweiten Versuch, obwohl er offensichtlich für das „erfahrende Selbst“ mehr Schmerzen verursacht. Kahneman sagt, dass wir uns stark an den Endstand von Prozessen erinnern, kaum an die Dauer. (S. 471) Die menschlichen Fehler, die in seinem Verhalten in diesen den beschriebenen Dualismen von schnellem und langsamem Denken sowie zwischen erlebendem und erinnerndem Denken angelegt sind, stellen das Menschenbild des Homo Oeconomicus in Frage, meint Kahneman: „Econs sind definitionsgemäß rational, aber es gibt erdrückende Beweise dafür, dass Humans nicht rational sein können.“ (S. 508) Kahnemans Buch steht argumentativ in einer Traditionslinie mit einigen der wichtigsten Bücher der vergangenen Jahre. Nassim Talebs „Der schwarze Schwan“ (ProZukunft 1/2010) hat ebenfalls die rationale Berechenbarkeit von Ergebnissen gesellschaftlichen Verhaltens aufgrund von „seltenen Ereignisse mit sehr großen Auswirkungen“ in Frage gestellt. Kahneman verträgt sich auch bestens mit Michael Thaler, der mit „Nudge“ (ProZukunft 3/2009) bereits politische Schlussfolgerungen skizzierete, wie damit umzugehen ist, dass freie Entscheidungen nicht immer vernünftig sind. Und Steven Pinker, dessen Geschichte der „Gewalt“ (ProZukunft 3/2012) ebenfalls zu den wichtigsten Werken der letzten Jahre gehört, nennt Kahneman den „wichtigsten Psychologen unserer Zeit“.  Das Soziale Tier

Etwas abseits dieser sich abzeichnenden Linie an Autoren, die das menschliche Verhalten neu vermessen und daraus Schlussfolgerungen für die Ökonomie (Kahneman), die Politik (Thaler) und den Krieg (Pinker) ziehen, hat David Brooks mit „Das Soziale Tier“ ein wichtiges Buch geschrieben. Der britische Premierminister David Cameron hatte es etwa zur Pflichtlektüre für alle seine MinisterInnen erklärt. Auch Brooks geht es um unser Menschenbild. In dem Buch begleitete er Harold und Erica durch ihr Leben. Das tut er, um zu zeigen, wie wir Entscheidungen treffen. Brooks greift auf den Stand der Neuro-Wissenschaften und Evolutionsbiologie zurück. Er argumentiert ähnlich wie Kahneman, dass wir Menschen unsere Vernunft heillos überschätzen. Er lehnt in seinem Buch aber auch andere Modelle des Menschen ab, die versuchen, menschliches Verhalten zu kategorisieren. Immer wieder trete eine „Strichmännchen-Sicht der menschlichen Natur“ auf.

Ist Gleichheit Glück?

Brooks argumentiert an allen Fronten. Ein gravierendes Problem der Menschen erkennt er auch in den seelischen Auswirkungen der Ungleichheit. Dabei greift er das wichtige Buch von Richard Wilkinson und Kate Pickett „Gleichheit ist Glück“ (ProZukunft 3/2010) auf. Die bloße Tatsache, auf der Statusleiter ziemlich eher weit unten zu firmieren, bringe hohen Stress mit sich und erlege psychische Kosten auf. Brooks antwortet auf dieses Problem aber konservativ: Man müsse in bestimmten einkommensschwachen Bevölkerungsschichten Leistungswerte besser vermitteln. Am besten durch die Eltern, im Notfall durch die Kirchen und gemeinnützigen Organisationen, und wenn das nicht klappt, durch den Staat. (S. 491) Harold und Erica erleben Liebe, Elternschaft, Alkoholismus, Karriere, Scheitern und den Tod. Harold denkt: „Das Gehirn war ein Fleischklumpen, aber aus den Milliarden von elektrischen Impulsen gingen Geist und Seele hervor. Es müsse eine höchste schöpferische Kraft geben, dachte er, die Liebe in Synapsen verwandeln kann und die dann eine Population von Synapsen nimmt und diese in Liebe verwandelt. Da musste Gott seine Hand im Spiel haben.“ (S. 549) Am Ende schreibt Brooks über Harold: „Harold hatte in seinem Leben etwas Wichtiges vollbracht. Er hatte einen Standpunkt entwickelt. Andere Menschen sehen das Leben vor allem als ein Schachspiel, das von logisch denkenden Maschinen gespielt wird. Harold betrachtete das Leben als eine niemals endende gegenseitige Durchdringung von Seelen.“ (S. 556).

 

  Kahneman, Daniel: Schnelles Denken, langsames Denken. München: Siedler, 2012. 624 S., € 26,99 [D], 27,80 [A], sFr 36,90 ISBN 978-3-88680-886-1 Brooks, David: Das soziale Tier. München: DVA, 2012. 604 S., € 24,99 [D], 25,70 [A], sFr 35,50 ISBN 978-3-421-04531-7 14