Der Mythos vom Krieg der Zivilisationen

Ausgabe: 1997 | 4

„The Clash of Civilizations" - ein in der Sommerausgabe der „foreign Affairs" erschienener und später zu einem 580-seitigen Buch (s. PZ 2/97) ausgeweiteter Aufsatz des Havard-Professors Samuel Huntington – sorgt(te) für heftige Aufregung wie Auseinandersetzungen und wird in westlichen Militärkreisen (und nicht nur dort) gerne als Argumentationsbasis für die weitere Legitimation der Rüstungsetats herangezogen. Huntingtons These vom Zusammenprall der Kulturen - er skizziert im Wesentlichen die Bedrohung des Westens durch ein Asien beherrschendes Großchina sowie durch einen "islamischen Fundamentalismus" - findet, zumindest was die zweite These anbelangt, seine deutsche Entsprechung im "Krieg der Zivilisationen" (1995) des Göttinger Islamwissenschaftlers Bassam Tibi. Beide Abhandlungen nimmt Gazi Caglar zum Ausgangspunkt der Hinterfragung des ”Zivilisationsparadigmas" sowie des "zur Schau gestellten Selbstbildes der 'Moderne". In der Tat findet der Autor zahlreiche Belege in den Ausführungen von Huntington und Tibi für seine kritische Auseinandersetzung mit Bedrohungsphantasien und Verschwörungstheorien sowie zyklischen Geschichtsbetrachtungen a la Spengler oder Toynbee. Seine prägnante Lagebeschreibung: "Neue Feindbilder werden geschaffen, es blüht der Diskurs der Dekadenz und der Rettungsmaßnahmen." (S.17) Zurecht spricht Caglar von einer "Fortführung des ,Kampfes der Ideologien' und davon, daß hinter dem „Geokulturalismus" wohl geopolitisches Machtstreben („politisch-psychologische Aufrüstung und Vorbereitung des ,Westens' auf die neuen Verteilungskämpfe in der ,neuen Weltordnung", S.19) zu vermuten ist. Des weiteren Nachdenkens wert sind auch die Überlegungen des Autors zur "Moderne als Kampfbegriff", dem "Sklavischen der Aufklärung" (etwa dem Primat der Naturbeherrschung) sowie zur "Verdrängung okzidentaler Eigenreligiösität", die sich nicht nur in fundamentalistischen Bewegungen (z.B.  Abtreibungsgegner), sondern auch in der "zweckrationalen Fortschrittsgewißheit" äußere. Gazi Caglar fordert für die Wissenschaft, daß Begriffe wie Zivilisation, Moderne oder Westen "mit den Methoden der Ideologiekritik" zu erforschen sind, und folgert daraus für sich: "Die ,wissenschaftlichen Theorien' vom Zivilisationskrieg müssen als das beurteilt werden, was sie sind: geistige Brandsätze, die in die schon brennenden Weltkonstellationen geworfen werden." (S. 117)

Da die Konfrontationsszenarien von Huntington und Tibi wenig bis nichts mit dem Aufzeigen realer Menschenrechtsverletzungen in der Welt zu tun haben, ist diesem Resümee wohl nur zuzustimmen. H. H.

 

Caglar, Gazi: Der Mythos vom Krieg der Zivilisationen. Der Westen gegen den Rest der Welt. München: Marino-Verl., 1997. 144 S. (Schriftenreihe des Instituts für Interkulturelle Forschung. und Bildung Hannover; 2) DM 19,80/ sFr 19,80/ öS 154,50