Warum Menschen sowas mitmachen

Ausgabe: 2018 | 4
Warum Menschen sowas mitmachen
Schreiner-Warum-Menschen-sowas-mitmachenAchtzehn Sichtweisen auf das Leben im Neoliberalismus:

Patrick Schreiner fragt, warum Menschen sowas mitmachen. Dabei meint er unser Verhalten im Neoliberalismus und redet über Selbstoptimierung, Selbsteinschränkung und Leistungsdruck selbst im privaten Leben. „Um Erfolg und Anerkennung zu erlangen, sollen sich die Menschen als aktiv und selbstdiszipliniert erweisen und dabei unternehmerisch und egoistisch denken und handeln. Um gegenüber seinen KonkurrentInnen die Nase vorn zu haben, gilt es, wettbewerbsfähig und innovativ zu sein oder zu werden.“ (S. 15) Schreiner führt uns durch die Gedankenwelt von AutorInnen, in der es immer wieder um die Frage geht, warum wir dabei mitmachen. Er beginnt bei Marx, zeigt uns die Erklärungen von David Harvey, Karl Polanyi, Norbert Elias, Eva Illouz und vielen anderen mehr.

Wir Menschen werden marktgerecht zugerichtet. Schreiner macht dies zum Beispiel anhand der Rede von der „Persönlichkeit“ fest. „Angebote zur Persönlichkeitsentwicklung lassen sich als Folge wie auch als Reaktion auf das verstehen, was Marx ‚Entfremdung‘ bezeichnet hat. Folge sind sie insofern, als viele Menschen Arbeit im neoliberalen Kapitalismus offenbar gerade nicht als befriedigend erleben, sondern als äußerlich und belastend. Dies wirkt sich nicht zuletzt in Form eines problematischen Verhältnisses zu sich selbst aus – als Entfremdung von sich und anderen. Die Menschen suchen nach Wegen, damit umzugehen, und schaffen so eine Nachfrage nach entsprechenden Produkten. Reaktion auf Entfremdung sind Angebote der Persönlichkeitsentwicklung insofern, als sie solche Wege aufzeigen. Dabei predigen sie stets Selbstveränderung und Eigenverantwortung. Sie treiben die Selbst-Instrumentalisierung auf immer neue Stufen. Und bestärken damit letztlich das ganze Elend.“ (S. 29)

Veränderung der Anpassung durch Veränderung des Kapitalismus

Mit David Harvey zeigt Schreiner, wie die Veränderung des Kapitalismus auch eine Veränderung der Anpassung erfordert. Mit dem Kapitalismus, insbesondere aber seit den 1970er-Jahren, sei es zu einer allgemeinen Beschleunigung gekommen. Produktzyklen würden immer kürzer, Moden immer wechselhafter, Kapital und Informationen bewegten sich immer schneller, Wissen werde immer rascher entwertet. Dies führe dazu, dass das postmoderne Denken Aspekte wie Unbeständigkeit und Flüchtigkeit, aber auch Vielfältigkeit und Mehrdeutigkeit besonders betone. (vgl. S. 37) Dies erfordert immer schnellere Wechsel in den Erscheinungsformen der Produkte, auch in der Produktion von Images. In der Postmoderne ist die Beliebigkeit eine Reflektion auf die Organisation der Ökonomie.

Schreiner hat auch Kochshows beobachtet. „SiegerIn ist, wer die anderen mit dem kreativsten, einzigartigsten, geschmackvollsten und außergewöhnlichsten Gericht übertrumpft. Damit sind die Kochsendungen von heute auch Spiegel der Gesellschaft. In vielen davon sind Ich-bezogene Verhaltenswesen zu beobachten, die nicht zufällig an das Verhalten von Markt-TeilnehmerInnen erinnern.“ (S. 52) Dieses Übergreifen von Marktverhalten und Marktregeln auf so Banales wie Kochsendungen erinnert Schreiner an das Werk von Karl Polanyi, der die Geschichte des 19. Und 20. Jahrhundert als Geschichte der Durchsetzung und Entgrenzung von Märkten beschreibt.

Patrick Schreiner über Theresa Sauter und Eva Illouz

Die entgrenzten Märkte stoßen dabei auf weniger Widerstand durch die Einzelnen, als man vermuten würde. Mit der Medienwissenschaftlerin Theresa Sauter zeigt Schreiner, dass die Selbstdarstellung von Menschen mit ihrer Selbstformation zusammenfallen würde. Die NutzerInnen von persönlichen Webauftritten beispielweise haben nicht im Vorhinein eine feste, klare, fertige Identität und Persönlichkeit, vielmehr entwickeln und verändern sie diese ständig – auch im Schreiben und Nachdenken über das, was sie im Internet über sich offenlegen. Wir werden, was wir sein sollen. Foucault hat dies auch als das Ineinanderfließen von Selbstführung und Fremdführung gesehen.

Diese Selbstformung nach den Kriterien der Gesellschaft hat kein Ende: Man ist „nie mit etwas fertig“ (Gilles Deleuze). Es treten Ideen wie „lebenslanges Lernen“, „Lifelogging“, „Self Tracking“ und „digitalisierter Leistungssport“ auf. Die Selbstkontrolle werde vom Staat an den Einzelnen übertragen, wie es schon Norbert Elias beschrieben hatte.

Die Ökonomisierung erfasst auch die Politik. Sie prägt zum einen politische Inhalte, Institutionen und Prozesse. Zum anderen verändert sie das Selbstverständnis, das Gesellschaftsbild und das Verhalten der Menschen. Die Kommerzialisierung der Bildung ist ein Beispiel dafür, wie politische Gestaltung nach Marktkriterien organisiert wird. Wenn Politik in der Logik des Marktes gemacht wird, greift – wenig überraschend – die Überzeugung der Alternativlosigkeit um sich.

Dass die Logik des Marktes selbst vor der Liebe nicht haltmacht, wird von Schreiner anhand der Arbeit von Eva Illouz erklärt. Liebe werde zwar als Zufluchtsort von Markt und Produktion gesehen, doch der Zugang dazu ist stark abhängig von der ökonomischen Position der Beteiligten. Auch die Herstellung von Romantik sei ökonomisiert, selbst das Liebesverhalten, und wird durch den Konsum romantischer Waren und Dienstleistungen entscheidend geprägt: vom Urlaub, der Kleidung, dem Restaurant usw.

Schreiners Buch ist eine kompakte Einführung in die heute wichtigsten Theorien, um die Kultur des Kapitalismus zu verstehen. Immer wieder wird man stimuliert, in die eine oder andere Richtung weiterzulesen. Empfehlenswert.

Von Stefan Wally

Schreiner, Patrick: Warum Menschen sowas mitmachen. Achtzehn Sichtweisen auf das Leben im Neoliberalismus. Köln: Papy-Rossa Verlag, 2017. 165 S., € 13,90 [D],14,30 [A]  ; ISBN 978-3-89438-632-0