Zur Lage der Welt 2008

Ausgabe: 2008 | 2

Es ist wohl kein Zufall, dass sich das renommierte „Worldwatch Institute“ mit den Perspektiven einer „nachhaltigen Marktwirtschaft“ beschäftigt. Wir haben die seit Jahren herausragenden Berichte dieses „Think Tanks“ stets aufmerksam verfolgt. Die Fülle aktueller Daten und Fakten, die „ nüchterne Begeisterung“, mit denen ausgewiesene ExpertInnnen Jahr für Jahr ein zentrales Thema zur Diskussion stellen, gilt, prägt auch diesen Band.

 

Im ersten von insgesamt 12 Kapiteln bringen G. Gardener und Th. Prugh zunächst die Misere des „alten ökonomischen Systems“ auf den Punkt. Zum einen sei die These von der „Unabhängigkeit von der Natur, die immer illusorisch war, heute einfach nicht mehr glaubwürdig“ (S. 27), zum anderen sei erwiesen, dass entscheidende Axiome der Marktwirtschaft (z. B. ‚Wohlstand durch Wachstum’) nicht eingelöst werden. Vielmehr nehmen die Schädigung der Ökosysteme und die Armut inmitten von Überfluss weltweit zu. Mit dem Ziel einer „Erneuerung der Begriffe in der Wirtschaftstheorie“ postulierten die Autoren „ Sieben große Ideen“, die in den nachfolgenden Kapiteln weiter ausgeführt werden.

 

 

 

KASTEN

 

 

 

 

„Sieben Ideen für nachhaltiges Wirtschaften“

1.) Anpassung der wirtschaftlichen Größenverhältnisse

 

2.) Verlagerung vom Wachstum zur Entwicklung

 

3.) Preise müssen die ökologische Wahrheit sagen

 

4.) Einbeziehung des Beitrags der Natur

 

5.) Das Vorsorgeprinzip anwenden

 

6.) Das gemeinsame Management von Gemeingütern wieder aufnehmen

 

7.) Wertschätzung der Frauen

 

(G. Gardener/Th. Prugh, a.a.O. S. 34ff.)

 

 

 

„Neue Ziel für den Fortschritt“ thematisiert im Folgenden J. Talberth. Um wirtschaftliche Globalisierung zu „echtem Fortschritt“ für alle zu machen, postuliert der Experte für Indikatoren der Nachhaltigkeit fünf „mikroökonomische Ziele“: die Zertifizierung von Produkten, Arbeitsabläufen und Lieferzeiten; eine Strategie des „Nullabfall“; Ökoeffizienz; Wohlbefinden am Arbeitsplatz und die Stärkung der Lebenskraft von Gemeinden (S. 66). Hunter Lovins, gemeinsam mit ihrem Mann, eine Pionierin der Ökoeffizienz-Forschung, arbeitet in ihrem Beitrag heraus, dass es „für Unternehmer nie ein der bessere Gelegenheit gegeben hat, gut zu verdienen, indem man Gutes tut, und auch nie eine für die Gemeinwesen, ihre Energiesicherheit zu stärken, die Lebensqualität zu verbessern und es den Menschen zu ermöglichen, sich dem Marsch in eine nachhaltigere Zukunft anzuschließen, als heute“ (S. 96).

 

Strategien zur Umsetzung eines nachhaltigeren Lebensstils sind das Thema von Tim Jackson. In Abgrenzung von dem „ utilitaristischen“ Modell der traditionellen Wirtschaftswissenschaften plädiert er für die Etablierung einer „Wissenschaft von den Wünschen“, deren Ziel es wäre, die „Paradoxien des Wohlbefindens“ zu erkunden. Sie hätte etwa der Tatsache nachzugehen, dass „ in Großbritannien der Prozentsatz derjenigen, die sich als ‚sehr zufrieden’ bezeichnen von 52 im Jahr 1957 auf heute 36 Prozent geschrumpft ist“. Klare Fakten belegen eindeutig, dass „einige Schlüsselkomponenten des menschlichen Wohlergehens sich in den westlichen Ländern keineswegs zum besseren, sondern vielmehr zum schlechteren entwickelt haben“. So hat sich etwa die „Zahl der Depressionen in Nordamerika von Jahrzehnt zu Jahrzehnt verdoppelt, 15% der 35-jährigen Amerikaner haben bereits wenigstens einmal eine größere Depression gehabt. Vor 40 Jahren betrug der Prozentsatz nur 2 Prozent“ (S. 109). Die außergewöhnlichen Anstrengungen, die für den Aufbau einer „kohlenstoffarmen Wirtschaft“ weltweit zu leisten sind, schildert im folgenden Kapitel Christopher Flavin. „Soll die Welt als Ganzes bis 2050 die (Co2-)Emissionen halbieren, müssen die heutigen Industrieländer ihre Emissionen um über 80 Prozent senken. Das zu erreichen, hängt von drei Elementen einer Klimastrategie ab: erstens, der Trennung und Deponierung des bei der Verbrennung fossiler Energieträger entstehenden Kohlendioxyds; zweitens, der Reduzierung des Energieverbrauchs durch neue Technologien und Lebensweisen; und drittens, dem Umstieg auf kohlenstofffreie Energietechnologien“, so Flavin (S. 134). Dem Ausbau der Atomenergie erteilt der Experte eine klare Absage, denn nach Einschätzung von Wissenschaftlern des MIT müssten „bis Mitte des Jahrhunderts ein- bis eineinhalb tausend neue Kernkraftwerke gebaut werden, um eine spürbare Reduzierung der globalen CO2-Emissionen zu erreichen – zwanzig Mal mehr Neubauten als in den letzten 10 Jahren und immer noch das fünffache der Neubaurate zur Hochzeit der Kernenergie in den 1980er Jahren“ (S. 139).

 

„Die Leistungen der Natur bezahlen“, so ist der Sonderteil dieser Ausgabe betitelt. Behandelt werden dabei Perspektiven für eine Verbesserung der Kohlenstoffmärkte, der Wert des Wassers in einer nachhaltigen Wirtschaft, Bankgeschäfte mit der biologischen Artenvielfalt und die Bedeutung von Gemeinschaftsgütern als "Parallelwirtschaft“. Jonathan Rowe macht sich mit überzeugenden Argumenten für eine „gemeinschaftsgüterbasierte“ Wirtschaft als dritten Weg neben „unternehmerischem Eigennutz“ und „Staatsbürokratie“ stark. Es gehe um die „ Rückeroberung der Gemeinschaftsgüter“, die bei intelligenter Nutzung „ihre Aktivposten für die Zukunft schützen und wahren, anstatt sie für kurzfristige Gewinne hier und jetzt zu liquidieren“ (S. 253). Die beiden abschließenden Kapitel beschäftigen sich mit präsentieren Beispiele sozialen Engagements für nachhaltige Entwicklung, wobei nachdrücklich auf die Bedeutung lokaler Initiativen und partizipatorischer Ansätze verwiesen wird. Dass inzwischen selbst die Weltbank erkannt hat, wie wichtig es ist, Entwicklungsaktivitäten in den Realitäten vor Ort einzubetten, wird anhand aktueller Projekte in Indonesien und Afghanistan verdeutlicht. „Der Gegensatz zwischen traditioneller Entwicklung, bei der fremde Experten die Lösung entwickeln, und wirklich selbstgeschaffenen Ansätzen könnte nicht größer sein“, meint Jason S. Calder. „Warum? Weil es, um anzufangen, nicht viel mehr braucht als ein wenig der „Fähigkeit, etwas anzustreben“. Dass auch die WTO bei einer kritischen Bilanz im Sinne eines „Wettbewerbs um das Gute“ von Grund auf neu auszurichten wäre, Theater im letzten Kapitel Marke Halle, wenn er über neue Ansätze zu Trade Governance berichtet.

 

Dass viele Wege eines anderen Wirtschaftens nicht nur denkt-, sondern auch begehbar sind, zeigt dieser Band eindrucksvoll und bestätigen auch die nachfolgenden Besprechungen. W. Sp.

 

Zur Lage der Welt 2008. Auf dem Weg zur nachhaltigen Marktwirtschaft? Hrsg. v. Worldwatch Institute in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung und Germanwatch. Münster: Westfälisches Dampfboot, 2008. 333 S. € 19,90 [D], 20,50 [A], sFr 30,85.

 

ISBN 978-3-89691-743-0