Von Menschen und Ameisen

Ausgabe: 2001 | 3

Ob Mensch, Ameisenhaufen, Ökosysteme oder Software – Komplexität beherrscht unser Leben, und doch ist unser Wissen darüber äußerst beschränkt. Die Chaostheorie war ein erster Versuch, komplexe Systeme zu beschreiben und zu simulieren. Alberto Gandolfi, Biologe und Unternehmensberater, zeichnet in seinem Buch die Entwicklung von diesen ersten Versuchen in den 60er Jahren bis zur heutigen Komplexitätswissenschaft nach.

Zunächst geht es um die Bedeutung des Begriffs Komplexität („Anatomie der komplexen Systeme“) und die fundamentalen Eigenschaften komplexer Strukturen. Gandolfi warnt davor, sich auf herkömmliche Mittel und Überzeugungen zu verlassen und verweist dabei auf die Politik. Seiner Ansicht nach ist es einer der Hauptgründe, „weshalb Regieren immer schwieriger wird“, dass die Politiker in einer immer komplexeren und dynamischeren Welt nach einer Logik handeln, „die für eine einfache und stabile Wirklichkeit gedacht ist“ (S. 11). Um Komplexität einigermaßen zu begreifen, erstellt Gandolfi ein sogenanntes „Fahndungsbild“, das in Stichworten die wichtigsten Eigenschaften (z. B. netzartige Struktur, hohe Anzahl von Elementen, nichtlineare Wechselwirkungen zwischen den Elementen, Selbstorganisation) solcher Systeme vergegenwärtigt.

Anschließend begeben wir uns, dem Autor folgend, auf die Suche nach Beispielen in Natur, Medizin, Wirtschaf und Technik. Die Entdeckungsreise führt dabei in die 1500 cm³ unseres Gehirns, des bekanntermaßen komplexesten Systems überhaupt, das wir kennen. Ein beeindruckendes Beispiel für Komplexität ist auch die Biosphäre, also die Gesamtheit der Ökosysteme unseres Planeten.

Der Blick in die Zukunft unseres Ökosystems, vom Standpunkt der Komplexitätswissenschaft aus betrachtet, ist ernüchternd: „Die Komplexität dieses Systems übersteigt alle unsere Vorstellungen“, und deshalb könne man, so Gandolfi, aus Ermangelung genauerer Angaben zum Ökosystem über dessen Zukunft nichts sagen. Noch dazu, wo das Verhalten komplexer Systeme unregelmäßig und unvorhersehbar ist. Das Ergebnis für das biologische System könnte darin bestehen, „dass die Zusammensetzung und Verbreitung der verschiedenen Ökosysteme völlig reorganisiert wird.“ (S. 230) Letzten Endes scheinen wieder einmal die Pessimisten Recht zu bekommen, denn die Tatsache, dass das Ökosystem der Erde bis heute dem Ansturm ohne globale Schäden standgehalten hat, bedeutet nicht, dass die Stabilität auch in Zukunft erhalten bleibt.

Schließlich beschäftigt sich der Autor auch mit der Voraussehbarkeit komplexer Systeme, wenn er so etwas wie universelle Spielregeln zu entdecken glaubt, die uns helfen, diese Systeme „zumindest ansatzweise zu managen“ (S. 237). In Anlehnung an De Bonos Begriff des „Parallel Thinking“ werden Widersprüche und Konflikte als potenzielle Quellen der Kreativität betrachtet. Auch Ideen wie Fehlerfreundlichkeit (Christine von Weizsäcker) und „Systems Engineering“ können uns helfen, kreative Problemlösungen zu finden. Der Wert der kulturellen Vielfalt unserer Gesellschaft gilt schließlich im Lichte der Ergebnisse der Komplexitätswissenschaft „als eine wirksame und langfristige Strategie für das Überleben und den sozialen Aufstieg“ (S. 248). A. A.

Gandolfi, Alberto: Von Menschen und Ameisen. Denken in komplexen Zusammenhängen. Zürich: Orell Füssli, 2001. 256 S., DM 59,- / sFr 49,- / öS 431,-