Solidarische Ökonomie im globalisierten Kapitalismus

Ausgabe: 2009 | 1

Dass es bereits eine Fülle konkreter Ansätze eines anderen Wirtschaftens gibt, macht ein in Kooperation mit der Berliner „taz“ und der „Bewegungsakademie“ herausgegebener Band über „Solidarische Ökonomie“ deutlich, der einen Ende November 2006 in Berlin stattgefundenen Kongress mit über 1.400 Mitwirkenden dokumentiert. „Solidarische Ökonomie bezeichnet Formen des Wirtschaftens, die menschliche Bedürfnisse auf der Basis freiwilliger Kooperation, Selbstorganisation und gegenseitiger Hilfe befriedigen“, so eine Klammerdefinition der HerausgeberInnen Dagmar Embshoff und Sven Giegold für die vielfältigen Initiativen, die von Produktionsgenossenschaften über Regionalwährungen bis hin zu Tauschkreisen reichen. Die beiden sehen im Aufschwung, den Projekte solidarsicher Ökonomie derzeit nehmen, einen handfesten ökonomischen Grund: „Prekariat und Armut sind längst in unseren Bewegungen angekommen. Unternehmungen Solidarischer Ökonomie sind eine Alternative, die eigenen politischen Ziele und das eigene Leben und Arbeiten besser in Einklang zu bringen.“ (S. 15) Der Wunsch nach einem anderen Umgang der Generationen miteinander sowie das Unbehagen an der derzeitigen Konsumgesellschaft werden als weitere Motive für Neuansätze angeführt: „Ältere Menschen aber auch Erwerbsarbeitslose und die wachsende Zahl von (jungen) Erben bilden ein Potenzial für Eigenarbeit, Tauscharbeit oder die solidarische Unterstützung von Wohn- und Arbeitsprojekten.“ (S. 16) Solidarische Ökonomie könne solidarische Politik nicht ersetzen, sie helfe aber bei der Durchsetzung, sind die beiden überzeugt, und sie wirke motivierend: „Bewegungen brauchen positive Erfolge. Projekte Solidarischer Ökonomie können solche Erfolge bringen – anfassbar, vor Ort.“ (S. 16)

 

In den insgesamt 52 Beiträgen des Bandes findet man/frau konkrete Beispiele eines anderen Wirtschaftens, etwa neue Genossenschaftstypen, neue Produktions- und Wohnformen oder Regionalwährungen. Vorgestellt werden auch internationale Beispiele etwa aus Italien, Frankreich, Osteuropa, USA und Kanada (u. a. aus Qubec), Südamerika, Indien oder Afrika, wo von „People´s Economy“ gesprochen wird. Solidarische Ökonomie hat hier einen noch viel höheren Stellenwert, so Norman Chipakupaku, da die meisten Menschen noch in Subsistenz leben, Familie und Nachbarschaft dem Überleben dienen.

 

Weitere Ausführungen beziehen sich auf die politischen Rahmenbedingungen, die Rolle eines Grundeinkommens, die Frage nach dem Eigentumsbegriff sowie die Gemeinwesenarbeit im Kontext Solidarischer Ökonomie. Susanne Elsen plädiert dafür, die kollektive Selbstorganisation von Arbeitslosen und Armen  zu fördern, was bisher nicht geschehe: „Sozialstaatliche Absicherungen setzen vielmehr am freigesetzten und isolierten Individuum an.“ (S. 108) Unterstützung kommt auch seitens der Psychologie. Unter Bezugnahme auf das von Alfred Adler beschriebene „Gemeinschaftsgefühl“ zeigt Malte Klar, dass sich gemeinsam mit anderen zu engagieren, einen positiven Beitrag in der Gesellschaft zu leisten und sich ungerechten Verhältnissen zu widersetzen, zum eigenen Glück beiträgt. Das Grundbedürfnis nach Verbundenheit mache deutlich, „dass der Mensch kein Einzelgänger ist, sondern von Natur aus ein soziales Wesen“ (S. 113). H. H.

 

 Solidarische Ökonomie im globalisierten Kapitalismus. Hrsg. v. Sven Giegold ... In Kooperation mit der „Bewegungsakademie“ und der „tageszeitung“. Hamburg: VSA-Verl., 2008. 237 S., € 14,80 [D], 15,30 [A], sFr 26,-, ISBN  978-3-89965-227-7