Post-Neoliberalismus?

Ausgabe: 2011 | 2

Konsens besteht weitgehend darüber, dass die Vielfachkrise Ausdruck unserer kapitalistischen Produktions- und Lebensweise ist. Die Antworten auf die multiple Krise bzw. deren Bewältigungsstrategien könnten jedoch unterschiedlicher nicht sein. Im vorliegenden Band geht es um die Frage, ob „post-neoliberale“ Strategien der Krisenbewältigung nicht nur eine präzise Einschätzung ermöglichen, sondern auch emanzipatorische Perspektiven in die Zukunft eröffnen, die nicht nur die Interessen der dominanten Kräfte bewahren.

 

Für Ulrich Brand, Politikwissenschaftler und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat von Attac Deutschland, steht fest, dass es zumindest in einigen Bereichen noch immer „Reserven“ gibt, aktive oder zumindest passive Konsense des Bewahrenden produzieren zu können: „Aktive oder passive Zustimmung zu den Arbeits- und Lebensverhältnissen entlang von Klassen- und Geschlechterhierarchien und anderen Ungleichheitsachsen, zur herrschenden Organisation des Weltmarkts, zur dominanten Politik durch Staat und Parteien, zu den herrschenden Formen von Medien und Öffentlichkeit, zur Nutzung von Ressourcen“ (S. 10f.). Diese „Reserven der Zustimmung“ sollen genützt werden für eine Stärkung emanzipatorischer Anliegen und einer attraktiven Lebensweise. Wie bei Hans-Joachim Schemel () geht es um emanzipatorische Politik gegen Sachzwang-Denken und naturalisierte gesellschaftliche Realität und darum, vermeintliche Selbstverständlichkeiten aufzubrechen. Dazu ist ein komplexes Verständnis von Staat, politischer Steuerung und kapitalistischer Herrschaft notwendig. „Emanzipatorische Ansätze von praktischer Kritik und alternativem Handeln, kollektiver Organisierung und institutionellem Agieren, konkreten Vorschlägen und Strategien müssen daher in allen gesellschaftlichen Bereichen entwickelt werden.“ (S. 15) Letztlich liegt der innere Zusammenhang der vielfältigen Krisen „in der fossilistisch-kapitalistischen Produktions- und Lebensweise, die in den letzten 30 Jahren unter neoliberalen und imperialen Vorzeichen umgebaut wurde“ (S. 24).

 

Einige zentrale Dimensionen der Krise und ihrer Bearbeitung werden im Folgenden analysiert. Es handelt sich um Beiträge, die der Autor zwischen 2007 und 2010 in Zeitschriften und Sammelbänden publiziert hat. Enthalten sind Aufsätze, die einmal die Zusammenhänge der verschiedenen Dimensionen der multiplen Krise des neoliberalen und imperialen Modells erfassen, die andererseits schwerpunktmäßig einzelne Themen der Krise beleuchten, wie Handlungsformen und Erfahrung der globalisierungskritischen Bewegung, den Begriff des „Post-Neoliberalismus“, die Rolle der Linken aber auch die Rolle und Zukunft der Sozialdemokratie.

 

 

 

Green New Deal

 

Schließlich geht es um eines der möglicherweise zentralen Projekte, die aktuelle multiple Krise zu überwinden, den so genannten Grünen New Deal (erstmals Nicolas Stern „The Global Deal“, 2009 und PZ 1/2010 Müller/Niebert: Plädoyer für einen grünen New Deal, 2009). Außerdem versucht Brand darzulegen, inwiefern die Informations- und Wissensproduktion eine wachsende Rolle in der jüngeren Entwicklung des Kapitalismus und damit auch in der Aneignung von Natur spielt.

 

Alternativen und emanzipatorische Handlungsfähigkeit im Kontext der jüngsten Transformationsprozesse sind Themen im letzten Abschnitt. Dabei geht es um neuere entwicklungspolitische Diskussionen und u. a. um den Begriff der Gemeingüter. In einem abschließenden Aufsatz versucht Brand zu zeigen, „inwieweit kritische Theorien - ein Schwerpunkt liegt auf neueren Ansätzen der Internationalisierung in der Tradition von Marx, Gramsci und Poulantzas - dazu beitragen können, den neoliberal-imperialen Globalisierungsprozess sowie seine gegenwärtige Krise besser zu verstehen und gegen-hegemoniale emanzipatorische Handlungsfähigkeit zu entwickeln“ (S. 21). Damit soll verdeutlicht werden, dass es nicht um zwei aufeinander folgende Schritte „kritische Analyse“ und „Handlungsalternativen“ geht, sondern dass immer wieder ein Zusammenhang hergestellt werden muss. Nicht zuletzt gilt das besondere Augenmerk der Zivilgesellschaft, die Brand nicht per se als kritisch und oppositionell zum Staat versteht. Diskutiert werden in diesem Zusammenhang die Handlungsmöglichkeiten der immer mehr sich transnational entwickelnden sozialen Bewegungen. A. A.

 

Brand, Ulrich: Post-Neoliberalismus? Aktuelle Konflikte; Gegen-hegemoniale Strategien. Hamburg. VSA-Verl.,  2011. 220 S., € 14,80 [D], 15,25 [A], sFr 25,20

 

ISBN 978-3-89965-424-0