Wirtschaftsdiktatur oder Demokratie?

Ausgabe: 2011 | 2

Wie belastbar ist unsere Zustimmung zur Demokratie angesichts der neoliberalen Globalisierung? Und was passiert, wenn der Wohlstand der momentan noch relativ abgesichert lebenden Mehrheit der Mittelschicht plötzlich einbricht? (Über die Ausplünderung der Mittelschicht s. Kasten) Diese Fragen stellt der Politikberater Hans-Joachim Schemel, der seit 2002 auch bei Attac engagiert ist.

 

Schemel geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass die gut ausgebildete Mittelschicht das ihr von einer falschen Politik auferlegte Schicksal anhaltender Arbeitslosigkeit und unsicherer Zukunft nicht hinnehmen wird. Wenn dem so ist, dann unterschätzt die Politik bei weitem das Ausmaß der Angst und des Zorns der gesellschaftlichen Mitte. Dann werden auch die seit Jahren durchgeführten Kampagnen mit dem Ziel, „die neoliberale Globalisierung als alternativlos erscheinen zu lassen“, nichts mehr nützen (S. 39).

 

In einem beklemmenden Zukunftsszenario wird der schleichende Weg in den autoritären Wirtschaftsstaat beschrieben, was – und das ist das eigentlich fatale – gar nicht so utopisch anmutet. Es folgen Beispiele von Staaten (USA und Italien) mit unübersehbarer Tendenz zur Wirtschaftsdiktatur. Dort sei, so Schemel, die Demokratie mehr und mehr zur Hülle für eine Wirtschaftselite geworden.

 

Schließlich stellt der Autor die Frage, „ob die Demokratie mit Institutionen und Instrumenten ausgestattet ist oder ausgestattet werden kann, die helfen, die neoliberale Globalisierung zu überwinden, um das Primat der Politik zurückzugewinnen“ (S. 150). Und, man höre und staune, es gibt Alternativen, denn offene Märkte sind für den Autor kein Naturgesetz. Es gilt also, den vermeintlichen Sachzwang aufzulösen, der das Gefühl der Ohnmacht hervorruft. Die Chancen liegen in der Hand der politisch aktiven Teile der Bevölkerung, „die sich des Wertes von Demokratie bewusst sind“ (151). Schemel ist der Meinung, das es eine so genannte „Postdemokratie“, die von einigen Autoren (z. B. von Colin Crouch) längst als vorherrschende Praxis angenommen wird, nicht geben darf, und deshalb vertritt er die These, dass ein Ausstieg aus dem neoliberalen Standortwettbewerb und dem damit zusammenhängenden Wachstumswahn noch möglich ist. In gegenwärtigen Krisenzeiten haben wir schon viel von der Regulierung der Finanzmärkte gehört, was bleibt, ist die Hilflosigkeit etwa beim Umgang mit zahlreichen Steueroasen innerhalb und außerhalb Europas. Nicht zuletzt deshalb wird auch beim Autor der Glaube an die Gestaltungskraft der Politik von Tag zu Tag brüchiger (vgl. S. 211).

 

 

 

Neue Dezentralisierung

 

Schließlich werden Grundzüge einer demokratieverträglichen Wirtschaftsordnung vorgeschlagen, die auf eine weltweite Dezentralisierung sowohl der politischen Entscheidungsbefugnisse als auch der wirtschaftlichen Machtzentren abzielen. Prinzipien einer solchen Wirtschaftsordnung sind das Primat der Politik gegenüber der Wirtschaft, das Prinzip der Subsidiarität (soll auch für die Wirtschaft gelten), die Stärkung der regionalen Wirtschaftskreisläufe des Binnenmarktes und schließlich die Vielfalt der Wirtschaftsstrukturen als Voraussetzung für das Funktionieren der wirtschaftlichen Kreisläufe in Regionen. Es geht um abgestufte Entscheidungskompetenzen, wobei die Entscheidung auf möglichst niedriger Ebene getroffen werden soll. Die Rede ist von der Kleinregion (Kommunen, Kreise) über die Mittelregion (Nationalstaaten) bis hin zur Großregion (wie Europa oder Teile davon). Der Handel zwischen den Großregionen ist nicht mehr der Eigendynamik der Märkte unterworfen, sondern wird durch Vereinbarungen im Interesse der Regionen politisch gesteuert.

 

Längst überfällig ist für den Autor eine grundlegend andere Bewertung des wirtschaftlichen Erfolges, der auch die Qualität der Güter und Dienstleistungen und ihren Nutzen für die Allgemeinheit beinhalten sollte. „In die Bemessung von Wohlstand müssen daher auch die Verteilung des Wohlstandes (…) und die gesundheitlichen und ökologischen Zerstörungen durch wirtschaftliche Tätigkeiten als wichtige (korrigierende) Größen eingehen.“ (S. 240) Durch die Regionalisierung würden die Voraussetzungen dafür geschaffen, „dass die Bevölkerung in demokratisch verfassten Staaten darüber frei entscheiden kann, wie sie leben will“ (S. 266). A. A.

 

Schemel, Hans-Joachim: Wirtschaftsdiktatur oder Demokratie? Wider den globalen Standortwettbewerb – für eine weltweite Regionalisierung. Oberursel: Publik-Forum, 2010. 272 S., € 18,90 [D], 19,50 [A], sFr 33,- ; ISBN 978-3-88095-206-5