Nachhaltige Entwicklung

Ausgabe: 2008 | 2

Nachhaltigkeit, so Gerhard Scherhorn in diesem - es sei vorweggenommen - richtungweisenden Beitrag, sei nicht nur eine ökologische, ökonomische oder soziale, sondern vor allem auch eine kulturelle Herausforderung. Es gehe darum, die „Kultur der Nachhaltigkeit (zu) verinnerlichen, um unsere Vorstellungen und unser Verhalten ändern zu können“ (vgl. S. 10), ist der ehemalige Leiter der Arbeitsgruppe „Neue Wohlstandsmodelle“ sowie der Forschungsgruppe „ Nachhaltiges Produzieren und Konsumieren“ am Wuppertal Institut überzeugt. Dass dabei dem Finanzkapital eine besondere Bedeutung zukommt, ist zunehmend unbestritten, wurde aber - soweit ich sehe - bisher kaum so überzeugend nachgewiesen wie an dieser Stelle.

 

Denn während Nachhaltigkeit, so der Autor einleitend, auf Substanzerhaltung ziele, bedeute die Vermehrung von Finanzkapital grundsätzlich Substanzverzehr. Dies zum einen, weil Gewinne durch den Verbrauch natürlicher und sozialer Gemeingüter (Boden, sauberes Wasser, Gesundheit, Lebensqualität), aber auch von Produktionsgütern erwirtschaftet würden, zum anderen aber viele der erwachsenden Kosten externalisiert werden. D. h. man bereichert sich durch Belastung anderer, der Umwelt, der Allgemeinheit“ (S. 21). Sherhorn spricht von der „Bindungslosigkeit“ des Kapitals, und weist damit u. a. darauf hin, dass Manager von Kapitalgesellschaften „rechtlich gehalten sind, sich allein den shareholders verantwortlich zu fühlen“ (S. 33), was dem Verbot sozialer Verantwortung gleichkomme; zudem sei Finanzkapital in vieler Hinsicht privilegiert (z. B. unterliegen Hedgefonds keiner Transparenzpflicht). Hinzu komme, dass vor allem das „ große Kapital“ die Verfügungsgewalt über alle Gemeingüter erwirbt, „ohne der nutzungsberechtigten Allgemeinheit einen angemessenen Anteil des Ertrags abzugeben (Monopolisierung)“ (S. 45). Die fortschreitende Kapitalisierung sei somit „ökologisch und sozial ungerecht“, zwar im Rahmen der bestehenden Rechtsordnung, aber „unfair“ (S. 51).

 

Im Folgenden schildert der Autor, wie die Übernutzung der Gemeingüter uns alle korrumpiert, „weil sie die Marktgüter verbilligt, Überproduktion verursacht, einen überhöhten Lebensstandard ermöglicht und eine Resistenz gegen die Begrenzung auf das Verantwortbare verursacht“ (S. 52). (Angesichts der aktuellen Diskussion um die hohen Treibstoffpreise verdient der Hinweis von Scherhorn Beachtung, dass „ die Gesamtheit der internen und externen Kosten des Kraftverkehrs ungefähr das Doppelte der heutigen Aufwendungen der Kraftfahrer bedeutet“ (S. 72), womit belegt ist, dass auch der Staat die Externalisierung kräftig subventioniert. Hier gelte es gegenzusteuern.

 

Um einer Kultur der Nachhaltigkeit zum Durchbruch zu verhelfen, müssten wir lernen, dem „trügerischen Charme der Effizienz“ zu widerstehen und dem technisch orientierten Paradigma der quantitativen Maximierung eine Haltung der Genügsamkeit, der Suffizienz, entgegenzusetzen. Scherhorn fordert eine „ vorausschauende, Leitlinien setzende, Suffizienz fördernde Politik, gegen die sich heute noch alles sträubt, weil sie nicht auf das Weiterwachsen nach bisherigem Muster baut, sondern auf zukunftsfähige Umorientierung und Neuentwicklung“ (S. 77). Um dem nach wie vor dominanten, „retardierenden Fortschrittsmythos“ zu begegnen, seien insbesondere die Wissenschaften gefordert. Für sie, so stellt der Autor lakonisch fest, seit Begrenzung offensichtlich „kein lohnendes Thema“, so etwa fehle es „ generell an der Bereitschaft, das Prinzip der ökologischen Effizienz, die Verminderung des Einsatzes in Verbindung mit Suffizienz, auch auf die Interpretation der ökonomischen Fortschritts zu übertragen. Das würde ja bedeuten, dass man die Dominanz der Vorstellung revidiert, Probleme vorrangig mit neuen Produkten zu lösen und Fortschritt mit Produktionsinnovation zu identifizieren“ (S. 77). Doch auch die Konsumenten sieht der Autor als Opfer des Fortschrittsmythos. „Sie sind zwar im Prinzip zu nachhaltigen Konsum bereit, in ihren alltäglichen Reaktionen aber haben sie sich nicht aus der Verheißung gelöst, die der Fortschrittsglaube seit den Anfängen der Industriellen Revolution ihrem Bewusstsein eingeprägt hat: Die Lösung aller menschlichen Probleme sei von der Verbesserung der äußeren Lebensbedingungen zu erwarten: (…) deshalb greifen die Konsumenten im Supermarkt zu den billigeren Nahrungsmitteln, deshalb sind sie indifferent gegenüber ‚grünem Strom’, deshalb lassen sie sich von Versprechungen wie ‚Genuss ohne Reue’ verführen (…) und assoziieren umweltfreundlichen Verkehr mit sozialem Abstieg.“ (S. 79)

 

Ein „naturfreundlicher Fortschritt des Wissens“ wäre, so Scherhorn, darauf bedacht, nicht Belastung, sondern Nutzen zu externalisieren, so wie dies übrigens die Evolution mit Erfolg praktiziert. „Weitgehend in Einklang mit den Prinzipien der Evolution produzieren und konsumieren, das ergibt ein anderes Leben, das vielleicht einerseits karger, andererseits aber ganzheitlicher und befriedigender ist. Es ist in dem Sinn karger, dass sich in ihm die Relationen zwischen den Marktgütern und marktfreien Gütern verschiebt, denn man wird sich auf Produkte, Produktionsverfahren und Produktionsmengen konzentrieren, die mit Substanzerhaltung vereinbar sind.“ (S. 84) Um diesem Perspektivenwechsel zum Durchbruch zu verhelfen, müsste Kooperation an die Stelle von Konkurrenz treten (vgl. dazu zuletzt auch Christian Felber, PZ 2007/4 xy). Um eine Stärkung der Verantwortung für nachhaltige Entwicklung voranzutreiben sei insbesondere die Politik gefordert, entsprechende Rahmenbedingungen zu setzen, ist Scherhorn überzeugt. Denn „solange die staatlich gesetzten Rahmenbedingungen dem Substanzverzehr Vorschub leisten, kann man von den Marktakteuren nicht erwarten, dass sie sich für Substanzerhaltung einsetzen“ (S. 91).

 

Um den bisher „gebremsten Einfluss“ des ethischen Investments zu stärken, unterbreitet der Autor u. a. den interessanten Vorschlag, nur jenen Unternehmen den Schutz der Wettbewerbsfreiheit einzuräumen, die sich nachweislich zur Stabilisierung der Gemeingüter verpflichten und nachhaltig wirtschaften; ferner wirbt er für die (Wieder)Errichtung einer „Charter of Incorporation“, in der die Rechte und Pflichten von Unternehmen international festgeschrieben sind. Dabei ginge es nicht nur um die Regelung von Monopolisierungsprozessen, sondern insbesondere auch um die Sicherung der Gemeingüter, etwa durch „treuhänderische Sachwalter“ („Commons Trusts“). Zusammengefasst: Eine Publikation, die entscheidende Impulse für eine erst am Horizont absehbare „Kultur der Nachhaltigkeit“ setzt und der breite Aufmerksamkeit zu wünschen ist. W. Sp.

 

Scherhorn, Gerhard: Nachhaltige Entwicklung. Die besondere Verantwortung des Finanzkapitals. Altius-Verl., 2008. 217 S. € 24,90 [D], 25,50 [A] sFr 43,60.

 

ISBN 978-3-932483-17-2