Nachbeben – Amerika am Wendepunkt

Ausgabe: 2011 | 1

Der Arbeitsminister in der Clinton-Ära, Robert Reich, liefert mit „Nachbeben“ eine Analyse über die Vereinigten Staaten nach der Krise. Reich beschäftigt sich dabei kaum mit den Auslösern der Wirtschaftskrise (Lehmann-Pleite, Hypotheken-Blase), sondern versucht, deren Ursachen zu finden.

 

Diese liegen für ihn in mangelnder Nachfrage, verursacht durch eine Erosion der Kaufkraft der amerikanischen Mittelschicht. Trotz hoher Produktivitätszuwächse stagnierte (in Relation) ab 1975 deren Einkommen, während immer größere Teile des Volkseinkommens sich in den Händen Weniger konzentrierten. Seit den 90ern verschärft sich dieser Trend - verbunden mit dem Aufstieg der Finanzwirtschaft und deren Einfluss auf die US-Politik. Die Konzentration des Volkseinkommens in den Händen einer immer kleineren Elite sieht Reich kritisch: Die Reichen geben einfach zu wenig aus. Sie entfachen zu wenig Nachfrage, um genügend Wachstum zu generieren. Für die Mittelschicht wurde es immer schwieriger, sich den „american dream“ leisten zu können. Längere Arbeitszeiten, Nebenjobs und eine höhere Frauenerwerbsquote verschleierten dies lange. Um das Niveau halten zu können, verschuldeten sich die Mittelstandhaushalte ab den 90er-Jahren in immer größerem Ausmaß. Verbunden mit dem lockeren Umgang mit Immobilien-Krediten führte das zur Krise.

 

In Europa würde man dieses Buch am ehesten unter „Globalisierungskritik“ einordnen. Utopisch wird Reich bei seinen Lösungsvorschlägen. In einem Land, in dem der politische Mainstream Rechts der Mitte angesiedelt ist, entwickelt Reich ein Programm, das selbst orthodoxe europäische Linke kaum überbieten könnten: Ausgedehnte Transferzahlungen über Negativsteuern, Reichensteuern, eine Kohlenstoffsteuer, verbesserte Bildungsangebote und mehr öffentliche Infrastruktur sorgen für eine gigantische Vision eines Umverteilungsstaates.

 

Fazit: „Nachbeben“ liefert auf seinen ersten 150 Seiten ein anschauliches Bild über Amerikas langen Weg in die Krise. Verständlich formuliert und gut mit Zahlen und Beispielen untermauert, kann es dem Leser neue Erkenntnisse vor allem über das amerikanische System vermitteln. Die zweite Hälfte des Buches wird vor allem jene ansprechen, die große politische Visionen lieben. Deutlich merkt man den Wunsch nach Rückkehr in die „goldenen“ 70er Jahre (vgl. Kreisky-Nostalgie). G. P.

 

Reich, Robert: Nachbeben – Amerika am Wendepunkt. Frankfurt/M.:  Campus, 2010. 221 S., € 19,90 [D], 20,50 [A], sFr 30,50

 

ISBN 978-3-593-39247-9