Für eine Abkehr vom Wachstumsmythos plädieren der tschechische Ökonom Tomás Sedlácek, bekannt geworden durch den Spiegelbestseller „Ökonomie von Gut und Böse“ (s. PZ 2013/3) sowie der kanadische Mathematiker David Orell - er hat vor kurzer Zeit mit dem Titel „Economyths“ eine herbe Kritik an den wirtschaftswissenschaftlichen Modellen vorgelegt hat - in einem als Buch erschienenen Interview mit dem Wirtschaftsjournalisten Roman Chlupatý.
Beide Autoren warnen vor dem Irrglauben des Wachstumszwangs des Kapitalismus, der nur mehr aufgrund eklatanter öffentlicher Verschuldung funktioniere. „Das mithilfe von Schulden angeschobene Wachstum war eine der Ursachen des jüngsten Zusammenbruchs“, so Sedlácek (S. 27). Die Krise war seiner Ansicht nach noch immer nicht hart genug, um sich dieser Tatsache zu stellen. Die klassischen Ökonomen hätten sich für Wachstum wenig interessiert. Ihnen sei es um einen Gleichgewichtszustand – wenn auch auf höherem Niveau – gegangen.
Konkreter wird Orell als Gesprächspartner, wenn es um die Gründe dafür geht, dass am Mainstream-Denken festgehalten wird. Aus seiner Sicht sind es Machtinteressen, die Veränderungen, etwa eine Verschlankung des Finanzsektors, verhindern. Denn dies würde bedeuten, „dass die Mächtigen plötzlich weniger verdienen und einige von ihnen sogar ihre Arbeit verlieren würden“ (S. 21). Auch die irrige Annahme einer fairen Preisbildung am Markt ist für Orell Ideologie, mit der die ungleichen Einkommens- und Vermögensstrukturen gerechtfertigt würden. Doch Ökonomie-Lehrbücher würden nie etwas über Macht enthalten. Dass ein Hedgefondsmanager mehr als eine Milliarde Dollar jährlich verdienen könne, während über eine Milliarde Menschen von weniger als einem Dollar täglich leben müssten, sei jedoch wohl Beweis genug, dass es in der Ökonomie um Macht gehe. „Wir leben wirklich in einer sehr seltsamen Zeit“ (S. 109), so Orell dazu sarkastisch. Wie recht er hat – daher geht es in der Tat um die Dekonstruktion ökonomischer Mythen! Hans Holzinger
Sedlácek, Tomás; Orell, David: Bescheidenheit. Für eine neue Ökonomie. Gespräch mit Roman Chlupatý. München: Hanser, 2013. 118 S., € 12,90 [D], 13,30 [A], sFr 17,40
ISBN 978-3-446-43486-8