Kurskorrektur

Ausgabe: 2004 | 2

Wer - das mag der Buchtitel nahe legen - an dieser Stelle einmal mehr eine Ansammlung von Klagen über den Niedergang der Welt vermutet, wird auf angenehme Weise überrascht. Im einleitenden Teil dieses solide recherchierten und faktenreichen Buchs listet Werner Mittelstaedt zwar eine Reihe „zukunftsgefährdender Megatrends“ auf. - Als Beispiel sei die Entwicklung des „Living Planet Index“ angeführt. Dieser Indikator der ökologischen Vielfalt ist nach Berechnungen des WWF zwischen 1970 und 1995 um 30 Prozent gesunken und nimmt nach wie vor um 3 Prozent pro Jahr ab. Der Autor - Initiator und Geschäftsführer der 1977 gegründeten „Gesellschaft für Zukunftsmodelle und Systemkritik“ sowie Herausgeber der Zeitschrift „Blickpunkt Zukunft“ - stellt seine Befunde darüber hinaus in einen ökonomie- und gesellschaftskritischen Kontext und entwickelt konstruktive Vorschläge in Richtung einer auf Dauer zukunftsfähigen Entwicklung. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, so eine zentrale These, würde eine v. a. im Kontext international agierender Konzerne agierende Zukunftsforschung zwar Aussagen über materielles Wachstum und damit verbundene Gewinnchancen machen, kaum aber Beiträge zur Lösung der existenziellen Herausforderungen liefern. Gefordert seien dagegen evolutionäre Zukunftsentwürfe, die unter Einbeziehung „der Lebensinteressen räumlich entfernter Menschen, anderer Regionen, Länder und Kulturen [sowie] der Kinder, Jugendlichen […] und noch nicht geborener Generationen“ zur Gestaltung offener Zukunftsentwürfe im Sinne dauerhaft wünschenswerter Lebensperspektiven beitragen“ (S. 24). An die Stelle machtvoller Einzelinteressen müssten „Visionen von kollektiver Ausstrahlungskraft und Verbindlichkeit“ treten (S. 45). Mittelstaedt hält gar - und nicht alle werden mit ihm diesbezüglich übereinstimmen - einen Bewusstseinswandel in Richtung „evolutionäres Handeln aus egoistischen Motiven“ (S. 51) fürmöglich (und unabdingbar). Um „die Zukunft neu zu denken“, sei es sinnvoll, sich vor allem auch der Thesen der auf Ossip K. Flechtheim zurückgehenden „Kritischen Zukunftsforschung“ zu vergewissern, argumentiert der Autor. Deren Grundsätze, Potenziale, Grenzen und Methoden werden als „Bausteine für die Zukunft“ im zweiten Abschnitt vorgestellt. Daraus resultierend, benennt Mittelstaedt schließlich (S. 142f.) zehn grundlegende Aufgaben einer evolutionär orientierten Zukunftsforschung. Um für alle gesellschaftlichen Akteure Win-Win-Strategien zu entwickeln, müsste vor allem das Bildungswesen „evolutioniert“ werden (etwa durch die Entwicklung ganzheitlich ausgerichteter pädagogischer Prinzipien oder die Einbindung junger Menschen in Agenda 21-Prozesse). Abgerundet wird der Band durch „16 hoffnungsvolle Zukunftsbilder“, in denen Mittelstaedt überwiegend bekannte, aber auch innovative Handlungsoptionen skizziert. Die Palette reicht dabei von mehr Verantwortungs- und Mitbestimmungskompetenz von Kindern und Jugendlichen über die Ausweitung des Subsidiaritätsprinzips oder fiskalischer Maßnahmen (Steuern auf Kapitalgewinne und Verbesserung der Entwicklungszusammenarbeit) bis hin zu einer allgemein verständlichen und klaren Produktdeklaration, die Waren und Dienstleistungen in drei Kategorien ausweist: „besonders schädlich für die Zukunft“, „zukunftsunfähig“ und „zukunftstauglich“. Dieses Buch ist vorbehaltlos Letzteres, und daher rundum empfehlenswert. W. Sp. 

 Mittelstaedt, Werner: Kurskorrektur. Bausteine für die Zukunft. Frankfurt/M.: Edition Büchergilde, 2004. 1919 S., € 18,- [D],18,60 [A], sFr 31,90 ISBN 3-936428-33-6