Kommunitarismus - eine Reformperspektive?

Ausgabe: 1997 | 3

Es kracht im Gebälk, es bröckelt der Putz: Der Sozialstaat mit seiner Gießkannenverteilungsstrategie und die Selbstzweckbürokratie der öffentlichen Verwaltungen stehen nicht zuletzt aufgrund der Finanzierungskrise auf dem Prüfstand. ”Verwaltungsreform" heißt das Schlagwort, in dem konstruktive und innovative Lösungen gesucht werden. Ein nicht unwesentlicher Beitrag zur Überwindung der Krise soll durch den Kommunitarismus kommen, Die Autoren setzen sich mit diesem Ansatz kritisch auseinander und formulieren abschließend ihre eigenen Optionen für eine Bürgerlnnen-orientierte, schlanke und effiziente Strukturierung staatlicher Aufgaben. Die Kerngedanken des Kommunitarismus (Einbindung des Individuums ins öffentliche Leben, stärkere Partizipation in der Gemeinschaft und die Orientierung am Gemeinwohl. demokratische Gesellschaftsstrukturen, soziale Werte und Normen, Partizipation, Bürgersinn und Patriotismus) erscheinen auf den ersten Blick als durchaus erstrebenswerte Ziele. Die kritische Analyse kommt aber zu dem Schluß, daß der Kommunitarismus von einem ausgesprochen heroischen Menschenbild ausgeht. die Abwesenheit von Knappheit („Kampf um Ressourcen") voraussetzt und hinsichtlich seiner Grundgedanken von Harmonie und Partizipation theoretische Ansätze aus der Kleingruppenforschung auf die gesellschaftliche Ebene überträgt. Ein weiterer Mangel im kommunitaristischen Reformdenken ist das Fehlen angemessener gesellschaftlicher Entscheidungs- und Konfliktlösungsmechanismen. Die Lösungsansätze für gesellschaftliche Probleme (die da sind: Mangel an Werten, Überbetonung von Rechten, Krise des Gemeinschaftsempfindens, Krise der gesellschaftlichen Institutionen, Drogenkonsum, Kriminalität) durch Beschwörung der Revitalisierung klassischer Sozialstrukturen wie Familie, Schule und Kirche halten weder einer sozialwissenschaftlichen noch realpolitischen Prüfung stand. Als ”irrationalistische Ideologie" läuft der Kommunitarismus Gefahr, eine geschlossene Gesellschaft im Sinne Poppers zu propagieren. Konsequenterweise haben damit auch die kommunitaristischen Vorstellungen zur Verwaltungsreform entscheidende Schwächen. Die Anforderungen an die Bildungswilligkeit und die implizierte Notwendigkeit, das Privatleben zu Partizipations- und Aktivitätszwecken einzuschränken, sind unrealistisch. Zusammenfassend sehen die Autoren mehr Gefahren als Nutzen durch den Einfluß des Kommunitarismus auf die Verwaltungsreformdiskussion im deutschsprachigen Raum. Für die  Zukunft sei es angesichts der aktuellen Problemlage geboten, Kriterien wie Finanzierbarkeit, Effektivität, Effizienz und Kostenwirtschaftlichkeit in Theorie und Praxis konzeptionell stärker als bisher zu berücksichtigen. Vor allem unbequeme Reformelemente wie die Einführung von Wettbewerb müßten auf die Tagesordnung gesetzt werden. Wenn derartige Wege nicht beschritten werden, dürfte sich aus der Kombination von Finanzkrise und Scheinreform öffentlicher Verwaltungen möglicherweise eine Staatskrise entwickeln. Für diese notwendigen Schritte scheint der Rückgriff auf real existierende Modelle sinnvoller als das Bemühen von Ideologien. So hat etwa Neuseeland in den letzten 10 Jahren durch konsequenten ”Staatsumbau" eine Situation geschaffen, in der sogar im öffentlichen Sektor Budgetüberschüsse erwirtschaftet werden. P. A.

Budäus, Dietrich; Grüning, Gernod: Kommunitarismus - eine Reformperspektive? Eine kritische Analyse kommunitaristischer Vorstellungen zur Gesellschafts- und Verwaltungsreform. Berlin: Ed. Sigma, 1997. 100 S., DM / sFr 16,80/ öS 131,50