Hilfestellung bis zuletzt

Ausgabe: 2016 | 1
Hilfestellung bis zuletzt

sitteWenn es unvermutet, weil vielleicht über viele Jahre verdrängt, oder gänzlich unerwartet darum geht, dem Sterben Angehöriger zu begegnen, ist guter Rat oft teuer. Was ist vorausblickend zu regeln, was vorrangig zu tun, welche Entscheidungen gilt es zu treffen, wo ist Hilfe und wo Halt zu finden? Thomas Sitte, Facharzt für allgemeine Palliativmedizin, Schmerztherapie und Sportmedizin sowie Vorstandsvorsitzender der Deutschen PalliativStiftung, hat mit diesem Buch einen praxisnahen Ratgeber verfasst. Ausgehend von vier „idealtypischen“ Biografien, die jedoch dem realen Umfeld des Autors entstammen – erwähnt seien, den Extremen der Lebensspanne folgend, „Anton, 99 Jahre, lebenssatt“ und „Sophie, 25-jährig, an einer fortschreitenden Lähmung“ leidend –, beschreibt Sitte insgesamt zehn Stationen des Umgangs mit Altern und Sterben.

Wie kann es gelingen, den Übergang zu „organisieren“, Angehörige zu entlasten und persönliche Erwartungen sicherzustellen? Woran gilt es zu denken, wenn unerwartet lebensbedrohliche Diagnosen gestellt werden? Wie ist dem Burnout zu begegnen? Welche ökonomische, medizinische und soziale Aspekte gilt es in den Blick zu nehmen, wenn das Lebensende nicht mehr fern ist? Und schließlich: Welche Symptome weisen darauf hin, dass der Tod nicht mehr fern ist, und sollten daher als „Zeit des Umdenkens“ verstanden werden? Woran leidet die betroffene Person besonders, wie können Schmerzen gelindert werden, welche Form der Unterstützung können Angehörige, Ärzte und professionelle Betreuerinnen bieten? Auf Fragen wie diese gibt Sitte umfassend, allgemein verständlich und konkret Antworten. Er spricht sachlich, nachweislich erfahren und voller Empathie auch über „die Zeit der letzten Monate und Wochen“ und die so genannte Finalphase, in der es für alle gilt, „das Warten auf den Tod zu ertragen“. Die Zeit des Sterbens beschreibt Sitte als besondere, fordernde Erfahrung für Hinterbliebene, als eine Zeit, die „schön sein kann, aber auch schmutzig, laut, Schmerz erfüllt, stinkend und vieles mehr“. Angehörige „sollten damit rechnen, dass es nicht so laufen muss, wie man es sich wünscht und ausmalt. Dabei kann es auch sein, dass es der Angehörige völlig anders empfindet als der Patient. Was für den einen gerade richtig ist, kann in genau dieser Situation vom anderen als unerträglich eingestuft werden. Die Richtschnur zur Entscheidung muss Wunsch und Wille des Patienten sein und muss es auch bleiben“ (S. 140).

Einsamkeit, Erinnerung und Offenheit

Dass mit dem Tod eines nahen Angehörigen der Prozess des Abschied-Nehmens nicht beendet ist, verdeutlichen die letzten beiden Kapitel dieses Bandes. Trauerarbeit ist vielfältig, individuell geprägt: das Bedürfnis nach Rückzug und Stille ist ebenso häufig zu beobachten und selbstverständlich wie der Wunsch nach Begegnung und Austausch. Auch in dieser Phase gelte es, soziale Erwartungen zu reflektieren, sich Zeit zu nehmen: Wie ist mit Trauerbekundungen umzugehen, wie mit dem Gefühl, Wichtiges verabsäumt und eine letzte Chance nicht genützt zu haben? Schließlich – auch das ein wertvoller Hinweis – kann die Kommunikation eigener Erfahrungen anderen Menschen helfen, mit der Situation des Sterbens, besser umzugehen und vielleicht daraus auch Kraft zu schöpfen.

 Sitte, Thomas: Vorsorge und Begleitung für das Lebensende. Berlin (u. a.): Springer, 2015. 205 S., € 20,55 [D], 21,20 [A] ; ISBN 978-3-662-44346-0