„Jenseits des Anspruchs der klassischen Futurologie, Zukünfte voraussagen zu können, sollen mit dem Fokus auf gesellschaftliche Innovationen Impulse zur Gestaltung von Zukunft gesetzt werden“, damit begründet Karl Peter Sprinkart die Motivation zu einer Ringvorlesung an der Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften der Universität München, die in der vorliegenden Publikation dokumentiert wird. In Anlehnung an den Sozialwissenschaftler Wolfgang Zapf werden soziale Innovationen definiert als „neue Wege, Ziele zu erreichen, insbesondere neue Organisationsformen, neue Regulierungen, neue Lebensstile, die die Richtung des sozialen Wandels verändern, Probleme besser lösen als frühere Praktiken, und die es deshalb wert sind, nachgeahmt und institutionalisiert zu werden“ (Zit. Sprinkart, S. 11).
Schon der Untertitel des Bandes signalisiert, dass mit „nachhaltigen Strategien für die Zukunftsfelder Ernährung, Umwelt, Politik, Wirtschaft und Kommunikation“ ein sehr breiter Ansatz gewählt wurde. Zu Wort kommen Persönlichkeiten aus dem wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Bereich wie Hans-Peter Dürr und Karl-Ludwig Schweisfurth (Ernährung), die Club of Rome-Mitglieder Ernst Ulrich von Weizsäcker und Günter Pauli (Umwelt), die lange Zeit an der Humboldt Universität lehrende Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan und der dm-Gründer und Grundeinkommens-Verfechter Götz W. Werner (Politik & Partizipation) sowie der Vorstandsvorsitzende der Sparda-Bank München, Helmut Lind, der sich für das Konzept der Gemeinwohlökonomie einsetzt. Man darf von den Beiträgen dieser vielzitierten AutorInnen und Vortragenden nicht immer Neues erwarten; wenn, dann besticht die Zusammenschau unterschiedlicher Zugänge. Manches Mal wäre es wohl spannend gewesen, die den Vorträgen folgenden Diskussionen nachvollziehen zu können. Denn Vorschläge wie das Grundeinkommen und die Gemeinwohlökonomie werden zwar engagiert und begeisternd vorgetragen, zu kurz kommen dabei aber die Fragen nach der politischen Umsetzung sowie den Widerständen dagegen.
Anders der Beitrag von Ernst U. v. Weizsäcker, der Wissenschaft und Politik kennt; sein Modell einer Ökosteuer, die Energie jährlich analog zur Innovationsrate verteuert, ergänzt er in seinen Ausführungen um einen „Sozialtarif fürs Lebensnotwendige“ sowie um die „Aufkommensneutralität für Industriezweige, die ansonsten aus dem Land gehen würden“ (S. 64), um die Umsetzungswahrscheinlichkeit des Konzepts zu erhöhen. Letzteres bedeutet freilich ein großes Zugeständnis gegenüber dem Business as usual und untergräbt die Notwendigkeit eines Schritts in diese Richtung auch im Kontext sozialer Ausgewogenheit.
Als Beispiel einer sozialen Innovation wird „MiMi – Integration und Gesundheit mit Migranten für Migranten“ vorgestellt, initiiert vom Sozialunternehmer Ramazan Salman. Einfluss auf die Politik zu nehmen ist auch Ziel der ebenfalls dokumentierten Kampagnen des World Future Council (WFC) für Zukunftsgerechtigkeit, die an politische EntscheidungsträgerInnen adressiert sind. Denn die „reale Welt wird sich allein aus der Erkenntnis über die Notwendigkeit zur Integration von ökonomischen und ökologischen Systemen nicht ändern“, wie die Medienexpertin des WFC, Maja Göpel, formuliert: „Ändern wir jedoch die jeweiligen Gesetze und Institutionen, erwächst daraus neuer Raum für Innovationen im Sinne der umgesetzten Nachhaltigkeit“. Wirklich gute Politik sei daher selbst eine Innovation: „die der Rahmenbedingungen, unter denen wir Geschichte gestalten“ (S. 197). Eine Überlegung, die im Nachhaltigkeitsdiskurs spät aber doch an Relevanz gewinnt (vgl. etwa „Perspektiven einer Suffizienzpolitik“ PZ 2/2014*42). Hans Holzinger
Perspektiven gesellschaftlicher Innovation. Nachhaltige Strategien für die Zukunftsfelder Ernährung, Umwelt, Politik, Wirtschaft, Kommunikation. Sprinkart, Karl Peter ... (Mitarb.). Regensburg: Walhalla, 2015. 232 S., € 19,95 [D], 20,50 [A]
ISBN 978-3-8029-3926-6