Empire und die biopolitische Wende

Ausgabe: 2008 | 1

In ihren Werken „Empire“ (2002) und „Multitude“ (2004) haben Michael Hardt und Antonio Negri eine Analyse des „postmodernen“ Kapitalismus vorgelegt, der von immaterieller Produktion, Ausdehnung kapitalistischer Vergesellschaftung auf das gesamte Leben (etwa durch die Entgrenzung der Arbeit und die Kommerzialisierung aller Daseinsbereiche) sowie vom Verlust der Steuerbarkeit von einem Zentrum aus geprägt sei. Die sich verändernden Produktionsbedingungen würden aber auch, so die optimistische Perspektive, vielfältige und an vielen Orten einsetzende Formen des Widerstands ermöglichen, was eben als „Multitude“  bezeichnet wird. Das „Gegen-Empire“ würde entstehen aus einer Assoziation von sozialen Netzwerken, die nicht mehr in Begriffen wie Bevölkerung, Nation, Schicht oder Geschlecht aufgehe, so die Überzeugung der Autoren. In „Empire und die biopolitische Wende“ werden nun Facetten der internationalen Debatte zu den Thesen von Hardt/Negri (mit Schwerpunkt auf der „Subjektivierung“ der Arbeitswelt) nachgezeichnet, die Gemeinsamkeiten mit dem postmodernen Steuerungsverständnis von Pries aufweisen und doch über dieses hinausgehen, da doch ein neues historisches Subjekt der Veränderung unterstellt bzw. ausgemacht wird.

 

Negri selbst spricht in seinem Beitrag von „kognitivem Kapitalismus“, in dem die Schaffung von Wert immer weniger durch die in der Ware vergegenständlichte Arbeitszeit, sondern durch „informative Arbeit“, durch Wissen, durch einen „Generel Intellect“ geschehe. Nicht mehr der einzelne Arbeiter, sondern „ein kollektives, gesellschaftliches Individuum wird den Wert der Produktion bestimmen“ (S. 19). Mit dem Übergang zum Postfordismus ändere sich auch die Ausübung von Macht: So werde in Anlehnung an Foucault heute „eher durch das Fernsehen Kontrolle ausgeübt als durch Fabrikdisziplin, eher durch Vorstellungen und Denken als direkt durch die Disziplinierung der Körper“ (S. 26). Diese Transformation des Kapitalismus führe schließlich auch zu neuen Formen sozialer Kämpfe. Zwei Akteure werden diese nach Negri bestimmen: zum einen die Bewegungen der MigrantInnen, die keineswegs bloß „Fluchtbewegungen aus dem Elend“ seien, sondern sich „in positiver Weise auf die Suche nach Freiheit machen, nach Wohlstand, nach Möglichkeiten, nach Neuerungen, die sich in Richtung der Zentralität der immateriellen Arbeit bewegen und dabei den Wunsch zeigen, in ihre Kreisläufe einzutreten“ (S. 30). Die zweite Konsequenz betreffe die Armen, die nicht mehr als „industrielle Reservearmee“ gesehen werden können: „Wir wissen, dass heute Armut die simple Tatsache bezeichnet, Tätigkeit nicht verwerten zu können.“ (ebd.) Doch auch die arme Migrantin oder der Ausgebeutete verfügten über ein „Vermögen, sich auszudrücken“. In den Armen sei daher, so Negri weiter, das „Salz der Erde zu erkennen, denn ihnen kommt Tätigsein zu, ein bisher uneingelöstes Vermögen, eine blockierte Potenzialität“ (ebd.). So treffend die Analyse des fortgeschrittenen Kapitalismus erscheint, das auch in Folgebeiträgen zum Thema „Migration und Krise der Souveränität“ gezeichnete Bild der MigrantInnen als neues veränderndes Subjekt der Geschichte ist fraglich, die Hoffnung, dass Arme und Arbeiter sich im Kampf zusammentun werden, um die „Kapitalmacht zu zerschlagen“ (Negri), möglicherweise ein Trugschluss. Nicht weniger wahrscheinlich erscheinen Bewegungen eines Neo-Nationalismus bzw. Chauvinismus, der schon einmal die internationale „Arbeiterklasse“ zerschlagen hat. H. H.

 

Empire und die biopolitische Wende. Die internationale Diskussion im Anschluss an Hardt u. Negri. Hrsg. v. Marianne Pieper ... Frankfurt/M.: Campus-Verl., 2007. 316 S., € 29,90 [D], 30,80 [A], sFr 50,80

 

ISBN 978-3-593-37541-0