Eine Multi-Agentensimulation der Wahrnehmung wasserbezogener Klimarisiken

Ausgabe: 2010 | 4

Die Menschen leben und handeln im Alltag immer auch klimarelevant. Wie sie schleichende Risiken wahrnehmen und speziell den Klimawandel bewerten, ist Gegenstand der vorliegenden Dissertation. Am Beispiel von zwei wasserbezogenen Risiken – Trinkwasserverfügbarkeit und Überflutung – die sich durch den Klimawandel in Intensität und/oder Häufigkeit verstärken können, erarbeitet Roman Seidl die theoretischen Grundlagen zur Wahrnehmung solcher Risiken. Dazu hat er ein Modell (dynamische Multi-Agentensimulation) erstellt, das psychologische Variablen wie beispielsweise Zukunftsorientiertheit und Abwehrmechanismen mit berücksichtigt. Der hier gewählte Ansatz ist eine „Methoden-Triangulation“, also die Verknüpfung von drei Empirieklassen: qualitativ mithilfe von Interviews, quantitativ durch Fragebögen und schließlich die dynamische Simulation (MAS). Damit sollen die sich im Alltag abspielenden Dynamiken von Informationsverarbeitung aufgrund von Medienberichten und eigenen Erfahrungen und deren emotionale Einbettung sowie dadurch ausgelöste unterschwellige Erregung und Besorgtheit (in dieser Arbeit als Aktiviertheit bezeichnet) deutlich gemacht werden.

 

Szenario I (Baseline) geht von der Annahme aus, dass die aktuelle Entwicklung weitergeführt wird wie bisher. Szenario II (Performance) hält an der Legitimität des neoliberalen Wirtschaftssystems fest (S. 196) und Szenario III berücksichtigt das Allgemeinwohl und geht von der Erkenntnis aus, dass die schädlichen Nebenwirkungen des ungebremsten Wachstums weiter zunehmen und deshalb die Rückbesinnung auf Werte, auf Lebensqualität, auf nichtökonomische Aspekte, auf eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung stattfindet.

 

Wasserbezogene Risiken

 

Durch die vom Autor gewählte Vorgangsweise wurden unterschiedliche gesellschaftliche Szenarios simuliert und die Ergebnisse unter Gesichtspunkten psycho-sozialer Nachhaltigkeit bewertet. Dabei konnte gezeigt werden, wie sich Haushalte „abhängig von klimatischen Gegebenheiten und dem gesellschaftlichen Szenario sowie von Milieuunterschieden an die sich verändernde Umwelt anpassen“ (S. 236). Wasser ist zwar aktuell noch kein Thema bei uns und es wird als selbstverständlich angesehen, dass es in ausreichender Menge aus der Leitung kommt. Wenn sich Probleme häufen (Wasserqualität, Überschwemmungen) erhöht sich auch die Empfindsamkeit für dieses Thema und es kommt infolge von Medienberichten und der Häufung selbst erlebter Schwierigkeiten oder gar Katastrophen langfristig zu mehr Aufmerksamkeit im öffentlichen Bewusstsein. Dann erst wird die Unzufriedenheit institutionalisiert und zeigt sich in Bürgerbegehren oder verändertem Wahlverhalten.

 

Fazit

 

Bei der Frage nach der Alltagsrelevanz schneidet der Klimawandel bisher schlecht ab. Die Erforschung der Risikowahrnehmung belegt zwar, dass gewisse Zusammenhänge mit Problemen wie Armut und Bevölkerungswachstum gesehen werden, andere Dinge dagegen wenig Aufmerksamkeit finden. Dies zeigt sich etwa bei der Verwechslung der Treibhaus- mit der Ozonproblematik, dem Aspekt der langen Zeiträume sowie bei unterschwelligen Prozessen. Deutlich wurde auch, dass zwar für alle bestimmte Eigenheiten der menschlichen Wahrnehmung und Beurteilung gelten, einige Menschen aber stärker beunruhigt sind als andere. Jedenfalls stellt das MAS als Teil eines Entscheidungsunterstützungssystems insbesondere für Entscheidungsträger im Bereich Wasserwirtschaft und Politik ein interessantes Mittel dar, mögliche „Nebenwirkungen“ im sozialen Bereich zu bewerten und abzuschätzen. A. A.

 

Seidl, Roman: Eine Multi-Agentensimulation der Wahrnehmung wasserbezogener Klimarisiken. Marburg: Metropolis-Verl., 2009. 326 S., € 48,- [D]

 

ISBN 978-3-895-187779-7