Die unverstandene Kultur

Ausgabe: 2008 | 2

„Wir erleben ein pausenloses Bereitstellen von Modellen der Inszenierung des Lebens. Die Faszination des Szenarios diktiert den Rhythmus des Handelns.“ (xy Münch, 2002, zit nach Adolf, S. 35)

 

„Wir schwimmen inmitten eines steten Stroms aus Umweltkatastrophen und populären Fernsehshows, globalen politischen Krisen und elektronischen Consumer Gadgets, entfesselten Finanzmärkten und medialen Superspektakeln. Unser Alltag strotzt vor grenzenloser Kommunikation.“ (S. 15) In dem Sinn, wie sich die Moderne global entfaltet, „beschleunigt, verdichtet und globalisiert sich Kommunikation“ (S. 34). Doch in all der Fülle, Pluralität und Redundanz liegt für Marian Adolf eine „hartnäckige Ignoranz“ verborgen. Wie anders könnte man erklären, warum eine Gesellschaft, „die nie zuvor wohlhabender, gebildeter und behüteter war als die unsere, kaum Mittel und Wege findet, die Entwicklung von Humanität und Zivilisation endlich“ voranzubringen.

 

Dieser Frage geht der Wiener Kommunikationswissenschaftler in seiner Analyse des Zusammenhangs von gesellschaftlicher Kommunikation und kulturellem Wandel nach. Dabei sind technische Innovationen und mediale Angebotserweiterung ebenso zu thematisieren, wie die zentrale Rolle der Werbung und Entertainisierung der westlichen Konsumgesellschaft.

 

In den Medien spricht die Gesellschaft sozusagen von sich und über sich selbst. „Medien sind Agenten, Foren, Vermittler und Arenen des gesellschaftlichen Diskurses.“ (S. 261) Als Vertreter einer Kritischen Kommunikationswissenschaft erweitert Marian Adolf in seiner Analyse den Fokus auf die kulturelle Dimension gesellschaftlicher Kommunikation. Kritisch ist die Analyse deswegen, weil sie es als Aufgabe der Sozialwissenschaften sieht, die Lebensbedingungen und somit die Strukturen der Organisation, Herrschaft und Subsistenz der Menschen zu analysieren und auf dieser Basis fortwährende Schranken von Emanzipation und Aufklärung zu kritisieren.

 

Vor diesem Hintergrund versucht Adolf eine „kulturelle Perspektive der Kommunikation“ (S. 37) zu entwickeln. Er arbeitet sich dafür an zentralen Forschungssträngen entlang, die aus ganz unterschiedlichen Perspektiven die Rolle der Kommunikation in unserer Kultur erkannt und diskutiert haben. Er entwickelt eine Begriffstypologie (S. 45) und unterscheidet Kultur als kognitive, zivilisatorisch-kollektive, deskriptive und soziale Kategorie. Entscheidend ist für ihn schließlich die Frage nach der mediengesellschaftlichen Macht und Kritik. Wer übt Kontrolle und Verfügungsgewalt über die Medien aus, welche Finanzierungsform gehört zu deren Betrieb und wie ist die Selektion und Verbreitung von Information geregelt? In diesem Zusammenhang bedient sich Adolf zweier Forschungsrichtungen, die sich mit Fragen der Macht und Herrschaft interdisziplinär auseinander gesetzt haben: die Frankfurter Schule (anhand des Literaturwissenschaftlers Raymond Williams) und die Cultural Studies (u. a. mit Udo Göttlich).

 

Schließlich führen uns Marian Adolfs Analysen zur Massenkultur und aktuellen Entwicklungen der „medialen Populärkultur“ zurück zu den Begriffen Medien, Kultur und Kommunikation als Abbild der Gesellschaft. „Readings der Medienkultur werden zu extrapolierten Bildern ihrer Gesellschaft(en) und verraten uns etwas über die vorherrschenden Wünsche, Ängste und Debatten einer Kultur." (S. 81) Deshalb – so ein Befund des Autors – gelte es, mit den Medien kritisch umzugehen und sowohl ihre Gefahren als auch ihre Potenziale zu erkennen. Kommunikation als vielschichtiger Prozess tangiere immer auch die Frage, wohin sich unsere Gesellschaft fortentwickelt, wie wir unsere mentalen und materiellen Ressourcen verteilen und anwenden wollen (vgl. S. 266). Zum Zweck der gemeinschaftlichen Erschaffung einer gerechteren Wirklichkeit fordert Adolf eine ethische Verantwortung (resultierend aus der „Kreation von Wirklichkeit“) sowie eine barrierefreie und umfassende Kommunikation. Dieses vom Autor selbst so genannte „utopische Projekt zur Hervorbringung einer besseren Gesellschaft“ ist zweifellos ein hehres Ziel, bleibt aber vorerst normative Utopie, von der wir in der Praxis, wie noch zu zeigen ist, noch weit davon entfernt sind. Die kritische Auseinandersetzung mit der Mediengesellschaft ist und bleibt aber eine wesentlche Voraussetzung zur Entwicklung von Humanität und Menschlichkeit. A. A.

 

Adolf, Marian: Die unverstandene Kultur. Perspektiven einer Kritischen Theorie der Mediengesellschaft. Bielefeld: transcript-Verl., 2006. 286 S. (Cultural Studies; 19) € 27,80 [D], 28,60 [A], 48,40 sFr

 

ISBN 3-89942-525-1