Die sieben Töchter Evas

Ausgabe: 2001 | 4
Die sieben Töchter Evas

Bryan Sykes: Die sieben Töchter EvasAls vor zehn Jahren die Eismumie auftauchte, die man bald darauf „Ötzi“ nennen sollte, gab es nicht wenige, die dahinter ein gigantisches Betrugsmanöver vermuteten. Man wandte sich deshalb an Bryan Sykes, einen jungen britischen Genetiker, der gerade erst das Kunststück fer-tiggebracht hatte, aus jahrhundertealten menschlichen Knochen DNA zu extrahieren. Sykes gelang danach dasselbe mit der Ötztaler Mumie, und er konnte nachwei-sen, dass es sich eindeutig um die Gene eines Europäers handelte. Kurz darauf wurde ihm eine Frage gestellt, auf die er nicht gefasst war: „Wenn Ötzi mit heute lebenden Europäern verwandt ist, wer sind dann diese Verwand-ten?“ Sykes durchforstete daraufhin seine Sequenz-Datenbank, und spürte tatsächlich eine Frau auf, die eine direkte Nachfahrin Ötzis ist. Sie heißt Marie Moseley und lebt als Unternehmensberaterin in Bournemouth.


Derartige Erfolge haben Sykes veranlasst, sich auf ein ebenso waghalsiges wie aufwändiges Forschungsprojekt einzulassen: die Rekonstruktion des menschlichen Stammbaums anhand von Mitochondrien-DNA. Das Projekt ist inzwischen nahezu abgeschlossen. Die Resultate sind verblüffend: 95 % aller heute in Europa lebenden Menschen gehen in ununterbrochener Abstammungslinie auf jeweils eine von sieben Frauen und ihre Clans zurück. Diese Frauen lebten vor 7 000 bis 45 000 Jahren, und es lässt sich sogar ziemlich genau angeben, wo und wie sie gelebt haben und was später aus ihren Nachkommen geworden ist. Die Urmütter sind wiederum mehr oder weniger eng miteinander verwandt. Ihr gemeinsamer Ursprung liegt eindeutig in Afrika, wo der Homo sapiens vor 150 000 Jahren entstanden ist.


Sykes ist mittlerweile dabei, die maternale Genealogie der gesamten Menschheit zu rekonstruieren. Nebenbei hat er herausgefunden, dass einer von 100 weißhäutigen Briten afrikanische oder asiatische Urahnen hat. Er schließt daraus, dass der Begriff der Rasse jeglicher wissenschaftlichen Grundlage entbehrt und endgültig in die Rumpelkammer der Biologie verbannt werden sollte.


Man hat Sykes häufig vorgeworfen, für das Mitochondrien-Erbgut eine viel zu niedrige Mutationsrate anzusetzen und fälschlich zu unterstellen, dass es nur in mütterlicher Linie weitergegeben wird. Sykes hat aber bisher alle Attacken unbeschadet überstanden. Und inzwischen sind seine Befunde durch vergleichende Analysen der Mutationen des Y-Chromosoms bestätigt worden.


Die aufregendsten und folgenreichsten Entdeckungen werden gegenwärtig im biologischen Bereich gemacht. Sykes’ revolutionäre Erkenntnisse haben den großen Vorzug, dass sie sich schlecht in den Dienst partikularer Machtinteressen stellen lassen. Ein in mehrfacher Hinsicht wegweisendes Buch. F. U.

 

Bei Amazon kaufenSykes, Bryan: Die sieben Töchter Evas. Warum wir alle von sieben Frauen abstammen – revolutionäre Erkenntnisse der Gen-Forschung. Bergisch Gladbach: Lübbe, 335 S., € 20,35 / DM 39,80 / sFr 36,- / öS 291,-