Die sieben Fundamente des Wissens für eine Erziehung der Zukunft

Ausgabe: 2001 | 4
Die sieben Fundamente des Wissens für eine Erziehung der Zukunft

Die sieben Fundamente des Wissens für eine Erziehung der Zukunft Edgar Morin„Die Reduzierung der Politik auf die Technik und auf die Ökonomie, die Reduzierung der Ökonomie auf Wachstum, der Verlust von Haltepunkten und Horizonten, all das erzeugt unter diesen Bedingungen eine Schwächung des Bürgersinns und die Flucht und Zuflucht in das Privatleben, den Wechsel zwischen Apathie und heftigen Revolten, und so verfällt, trotz Aufrechterhaltung der demokratischen Institutionen, das demokratische Leben.“ (S. 139) Diesem kritischen Befund abzuhelfen, sei, so der Präsident der Europäischen Agentur für Kultur der UNESCO, Edgar Morin, dreierlei nötig: eine Regeneration der Demokratie dort, wo sie verwelkt, ihre Herstellung dort, wo sie noch gar nicht existiert, und ihre Verwirklichung auf planetarischer Ebene. Letzteres ist vor allem das Anliegen des französischen Soziologen, der in der Entwicklung eines „planetarischen Bewusstseins“ sowie einer „Erdenbürgerschaft“ eine Schlüsselaufgabe für die Bildung im 21. Jahrhundert sieht.

Die Menschheit habe aufgehört, nur mehr ein biologi-scher, abstrakter oder ideeller Begriff zu sein, sondern sei zu einer „vitalen Realität“, zu einer „Schicksalsgemein-schaft“ geworden, verwurzelt im „Heimatland Erde“, einem „Heimatland in Gefahr“. Menschheit ist für Morin von nun an daher vor allem ein ethischer Begriff: „sie ist das, was von allen und in jedem einzelnen von uns ver-wirklicht werden  muss.“ (S. 141)

Seiner „Anthropoethik“ legt er folgende sieben Funda-mente einer „Erziehung für die Zukunft“ zugrunde: 1. Die Blindheiten der Erkenntnis - Irrtum und Illusion - selbst zum Gegenstand der Erkenntnis machen. 2. Die Komple-xität der Welt vermitteln (Überwindung der nach ver-schiedenen Disziplinen fragmentierten Erkenntnis). 3. Die Grundbedingungen des Menschen in seiner Vielfalt lehren (Rationalität und Emotionalität, Verhältnis von Indi-viduum, Gesellschaft und Art, Einheit in der Verschie-denheit von Kulturen u.a.m.). 4. Die irdische Identität als Teil einer gemeinsamen Schicksalsgemeinschaft und die Chancen „intersolidarischer“ Verständigung in einer poly- und azentrischen Welt lehren. (Zitat: „Der Westen, der sich provinzialisiert, fühlt in sich ein Bedürfnis nach dem Osten, während der Osten versucht, er selbst zu bleiben, indem er sich verwestlicht. Der Norden hat die Kalkulation und Technik entwickelt, aber die Qualität des Lebens verloren, während der Süden, technisch rückständig, noch die Lebensqualitäten pflegt.“ S. 95). 5. Sich den Ungewissheiten stellen und sich verabschieden von der Illusion, unsere Zukunft vorhersagen zu können. „Das Studium der großen unerwarteten Ereignisse und Unfälle unseres Jahrhunderts zeigt: der Mensch muss sich auf das Unerwartete vorbereiten.“ (S. 19). „Die Zukunft heißt Ungewissheit.“ (S. 99). Morin spricht von einer „Ökologie der Aktion“ (S. 106), die besagt, dass von Menschen gesetzte Aktionen nie in ihren Wirkungen vorgesagt werden können, dies insbesondere nicht in einer komplexen Welt wie der unseren. 6. Verständnis lehren in einer interdepententen Welt. Der Autor konsta-tiert trotz aller technischen Kommunikationsmittel gegenseitiges Unverständnis: „Zwar gibt es große und vielfältige Fortschritte der Verständigung, aber die Zunahme der Verständnislosigkeit ist noch größer.“ (S. 115) 7. Schließlich und zusammenfassend die Entwicklung und Vermittlung einer „Ethik der menschlichen Gattung“.

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Die Überlegungen von Morin mögen in einer von Aktienkursen und Gewinn bestimmten Welt als „weltfremd“ anmuten – und manches Mal vielleicht auch als pathetisch („Das Bewusstsein unserer Menschlichkeit in diesem planetarischen Zeitalter müsste uns zu einer Solidarität und einem gegenseitigen Erbarmen führen, von jedem zu jedem, von allen zu allen“, S. 96)  , sie sind aber der Versuch einer philosophischen Anstrengung, gerade diese Dominanz des Ökonomischen und nur scheinbar Rationalen der westlichen Konsumkultur zu durchbrechen und zu einer Weltsolidarität der Menschheit zu gelangen. H. H.

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