Die Matrix des Wandels

Ausgabe: 2009 | 3

Man ist geneigt zu sagen – was ist denn jetzt schon wieder? Erst vor wenigen Wochen erschien eine neue Studie des Zukunftsinstituts. Nachdem die Rezession gegenwärtig das alles beherrschende Thema ist, darf natürlich eine Stellungnahme der Trendforscher dazu nicht fehlen. Wie zu erwarten, ist keine Rede vom Ende des Kapitalismus oder einer fundamentalen Krise des Marktes. „Die Krise ist weder sensationell noch historisch außergewöhnlich“, so die optimistische Grundannahme der Studie. „Die Krise ist für uns kein Menetekel, sondern ein sinnvoller Wandlungs-Reiz. Aus der Krise wird Wandel: Wie im persönlichen Leben von Zeit zu Zeit Krisen auftreten MÜSSEN, damit individuelle Übergänge stattfinden und Transformationen sich vollziehen können, existieren auch in unseren Finanz-Systemen Sollbruchstellen“, meinen die Autoren (S. 4). Die Wirtschaftskrise als reinigendes Gewitter, als Beschleuniger für einen überfälligen Wandel, das wünschen sich die Trendforscher.

 

 

 

Leben in der „Kreativökonomie“

 

Wie die Welt nach der Krise aussehen wird, stellen die Autoren anhand einer Matrix von acht wirtschaftlich und gesellschaftlich wichtigen Bereichen zur Diskussion. Dabei wird danach gefragt, wie Menschen künftig arbeiten, was sie konsumieren, wie sie einkaufen, was ihnen wichtig ist, welche Werte gefragt sind und worauf Firmen in Zukunft achten müssen, um zu reüssieren. Es sei davon auszugehen, „dass sich Märkte und Konsum stärker dem Wesentlichen zuwenden“ werden. Einfachheit, Klarheit und Direktes bestimmen das Marketing und die Kommunikation in der „Kreativökonomie“. Im Übergang zur Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts, so erfahren wir, werde das Zeitalter der Frauen anbrechen. Ein weiteres wichtiges Thema im „Reigen an Veränderungen“ ist der Begriff der Glokalisierung, also eine „Politik der kurzen Wege“ und damit ist letztlich eine ökonomische Kurskorrektur gemeint, die über Vertrautheits-Cluster und „Wandel durch Nähe“ (Nearshoring) zu einem neuen Wertschöpfungsmodell kommt. (S. 77) Anzeichen für ein Comeback regionaler Wirtschaftskreisläufe sehen die Autoren etwa in der Tatsache, dass heute ein Viertel aller Suchanfragen bei Google einen lokalen Bezug hat.

 

Die Finanzkrise signalisiert das Ende der „flachen Wirtschaftswelt“, in der industrielle Wertschöpfung durch Outsourcing in Billiglohnländer ga-rantiert wurde. In Zeiten wie diesen wird die Wahl des Ortes, an dem wir uns zum Arbeiten, Leben, Lieben und Lernen niederlassen, zu einem zentralen Merkmal der Lebensqualität. (vgl. S.56)

 

 

 

Greentech als Chance

 

In den nächsten 50 Jahren seien das Internet, die Virtualisierung vieler Prozesse als auch die Umwelttechnologie („Greentech“) absehbar und Mega-Investitionen in die Netzwerke erneuerbarer Energien, in das Gesundheitsmanagement und in die Bildung zu erwarten.

 

Markant werden auch die Verschiebungen auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft. Zumindest in Zentraleuropa und Nordamerika wird es viele Jobwechsler geben, die zu Franchisenehmern und Green Consultants werden, meinen die Trend-scouts. In der Arbeitskultur von morgen ergeben sich völlig neue Strukturen und Bedürfnisse. Für Aufschwungstimmung sorge dabei auch die neue Arbeitsmarktrealität. Die atypischen Beschäftigtenformen haben zwischen 1997 und 2007 um 50,6 Prozent zu-, die Normalarbeitsverhältnisse um 6,4 Prozent abgenommen (Statistisches Bundesamt 2009). Die These, dass wir uns mit rasantem Tempo auf eine „Zukunftswelt“ hinbewegen, wird mit einer Reihe – mehr oder weniger – wünschenswerten Zahlen und Fakten belegt (s. Kasten).

 

Doch damit nicht genug: Nach Ansicht der Trendforscher steuern wir auf eine „kooptive Weltgesellschaft“ zu,  wiederfinden, in der sich die Grenzen zwischen „Großen“ und „Kleinen“, „Armen“ und Reichen“ zunehmend auflösen. Zur Produktivitätskraft für zukunftsfähige Unternehmen würde der Wunsch nach einer sinnvollen beruflichen Tätigkeit und Selbstverwirklichung. Dass gegenwärtig die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander driftet, prekäre Jobs und Kurzarbeit an der Tagesordnung sind, dass die Finanzwelt auch nach der Krise so funktioniert wie vorher, scheint die Trendforscher nicht zu beschäftigen. A. A.

 

Dziemba, Oliver; Horx, Matthias; Wenzel, Eike: Die Matrix des Wandels. Hrsg. v. Zukunftsinstitut (www.zukunftsinstitut.de) . Kelkheim, 2009. 77 S., € 160,-;  ISBN 978-3-938284-47-6