Die Internationale Politische Ökonomie der Weltfinanzkrise

Ausgabe: 2011 | 2

Auch in diesem von einem Experten für Internationale Beziehungen herausgegebenen Band wird darauf hingewiesen, dass die Krise aus einer Mehrzahl sich überlappender Dynamiken und Felder besteht. Zurückgehend auf einen Workshop in Zusammenarbeit mit der Thyssen-Stiftung wird v. a. die unaufhaltsame Ausbreitung und Hartnäckigkeit der Krise und deren Bedeutung für die Politische Ökonomie herausgearbeitet. Als Ursache sieht etwa Brigitte Young das Geschäftsmodell der „homeownership society“, als Aspekt eines spezifischen Bürgerrechtsdiskurses, „der einen Inklusionsmechanismus für Minoritäten und schwache soziale Gruppen darstellt“ (S. 8).

 

Andere wiederum sehen in der „Finanzialisierung“ der letzten drei Dekaden die Ursache der Misere. Dieses Konzept besagt, dass es zu einer Machtverschiebung zwischen dem Finanzsektor und dem ‚produktiven‘ Wirtschaftssektor gekommen ist. Das reicht von der Art der Profit-erzielung, den Machtverhältnissen innerhalb der Unternehmungen bis hin zu gesellschaftspolitischen Fragestellungen (dem Verhältnis von Arbeit und Kapital, von Staat und Markt). Wie die Autoren Marcel Heires und Andreas Nölke hervorheben, steht im Zentrum der Diskussion über die strukturierende Wirkung der Finanzialisierung v. a. die Umgestaltung der Unternehmenskontrolle, die unter dem Schlagwort des ‚Shareholder-Value‘ geführt wurde (vgl. S. 40). Unter dem Einfluss der Finanzialisierung „wurde ein enormer Überschuss von Kapital auf der Suche nach rentablen Investitionsobjekten freigesetzt und dadurch die Renditeerwartungen und die Risikobereitschaft auf den Finanzmärkten verändert“ (S. 42).

 

Weitere Erklärungsversuche beschäftigen sich mit der spezifischen Rolle von Derivaten und deren mangelnde Regulierung. Geht es um die globale Ausbreitung der Finanzkrise, so bietet sich als einfache Erklärung die weltweite Vernetzung der Finanzinstitute an. Dabei wird ein kritischer Blick auf die polit-ökonomischen Strukturen in Russland ebenso gelegt wie auf die Verhältnisse in den südafrikanischen Staaten und Ostasien. Hans-Jürgen Bieling wagt einen Blick auf Europa und schätzt die Lösungskapazitäten der EU eher skeptisch ein. „Die in die europäischen Strukturen eingeschriebene Verzerrung in Richtung anglo-amerikanischer Grundüberzeugungen verhindert eine aktivere Rolle bei der Ausgestaltung einer neuen Finanzordnung.“ (S. 11)

 

Geht es um Konturen der institutionellen und ideellen Konsequenzen, sehen die Autoren durchaus die Abkehr von den Selbstheilungskräften der Märkte, bezweifeln aber, dass die einsetzenden Debatten ausreichen, um eine nachhaltige Lösung der Finanzinstabilität zu erreichen. Die massiven Interventionen in die Märkte und die Verstaatlichungen einzelner angeschlagener Banken täuschen aber nicht darüber hinweg, dass systematisch Systemrisiken unterschätzt und „schwarze Schwäne“ in Form von neuen Krisen gezüchtet werden. In dem Maße aber, in dem die Staatsschulden zunehmen, verlieren die Finanzmärkte ihr letztes Sicherheitsnetz, so Danko Knothe zum „Zusammenhang von politisch geförderter Stabilitätsillusionen und Blasenwirtschaft“. Durch wachsende strukturelle Finanzierungsdefizite werden die staatlichen Fähigkeiten zur Krisenintervention dramatisch beschnitten, so Knothe. Dann bleibe dem Staat nach der hier vertretenen Einschätzung nur die Möglichkeit, durch radikale Verteilung von Eigentum die Verschuldungsfähigkeit wieder herzustellen (vgl. S. 246). An dieses heiße Eisen wagt sich die Politik bis jetzt kaum und wenn doch, dann nur zögerlich. A. A.

 

Die Internationale Politische Ökonomie der Weltfinanzkrise. Hrsg. v. Oliver Kessler. Wiesbaden: VS Verl. f. Sozialwiss., 2011. 251 S. (Globale Politische Ökonomie). € 29,95 [D], 30,85 [A], sFr 50,90

 

ISBN 978-3-531-165345-6