Der Arabische Frühling zwischen Zorn und Zukunft

Ausgabe: 2012 | 3

Einen etwas anderen Zugang zum Thema wählt Daniel Baumgartner. Rückblickend ist für den Pädagogen und Kommunikationsberater der arabische Frühling auch „ein Ergebnis einer kollektiven Identitätsbildung“, indem sich der Drang nach Selbstbestimmung „von den kompensatorischen Nebenübungen wie dem Kampf gegen das Feindbild Westen, den Dschihad als Überzeugungsarbeit mit Sprengstoff oder der Errichtung eines imaginären moralischen Mittelalters“ hat lösen können (S. 26). Nun suchten die akademisch gebildeten Männer und Frauen im „Aufruhr der Ausgebildeten“ (Kraushaar, s. o.) Wirkungsfelder gesellschaftlichen Wandels (vgl. S. 29).

 

Wenn man die vergangenen Ereignisse zu verstehen versucht, könne Religion nicht ausgeklammert werden. Revolution als Emanzipationsbewegung in orientalischen Kategorien verlaufe nicht gegen, sondern mit der Religion. In der arabischen Welt ist der Islam ein Teil des öffentlichen Raumes, bei uns hat sie sich, wo sie noch lebt, ins Private zurückgezogen und auf öffentlichen Straßen und Plätzen nichts zu suchen, so Baumgartner. Der arabische Frühling lasse sich deshalb genauso wenig mit okzidentalen Revolutionsbegriffen verstehen wie man den europäischen Revolten nicht gerecht würde, wenn man diese nur als Aufstände zorniger Massen betrachtet. „Das europäische Drehbuch beginnt mit philosophischen Diskursen, bewegt Begriffe und erklärt subjektive Freiheitsgefühle, bevor der Umsturz von der Straße kommt.“ (S. 42) Die orientalische Variante mache nun „die Transzendenz nicht zur Exklave, sondern zur entschiedenen Anwesenheit von allem in allem. (…) Deshalb hatte und hat die arabische Revolution in ihren Massenkundgebungen einen Abglanz des Religiösen.“ (S. 41) Es ist in der Tat nicht von der Hand zu weisen, dass in den benannten Revolutionen die Religion wieder einmal die Leerstellen besetzen könnte, die durch einen Bewusstseinswandel auszufüllen wären.

 

Baumgartner beschreibt die kulturellen Mustern, die im arabischen Frühling zum Ausdruck gekommen sind, und schließlich das Entwicklungsprojekt SEKEM als brauchbares Modell für die Zukunft.

 

 

 

Spiral Dynamic-Modell

 

Als relevante Stufen dieser Entwicklung gelten im Sinne des „Spiral Dynamic-Modells“ das Kulturmuster des Klans (dem Baumgartner die Farbe Purpur zuweist), das Kulturmuster des kämpferischen Aufbruchs (Rot), Balu steht für das Muster der gemeinsamen Regeln und Orange für Erfolg und Tüchtigkeit. Die nächste Stufe Grün bringe einen kulturellen Sensibilisierungsschub, der Konkurrenz durch Kooperation ersetzt (vgl. S. 50) und Türkis ersetzt den Begriff „System“ durch das Bewußtsein des geistigen Zusammenhangs aller Dinge und Ebenen. Der Autor hält fest, dass die arabische Welt vor dem Eintritt in die Stufe Orange stehe bzw. darum kämpfe. (S. 53)

 

 

 

SEKEM

 

Als Kenner v. a. der ägyptischen Situation und als Präsident des Fördervereins SEKEM-Schweiz hat sich Baumgartner auch als Erwachsenenbildner und Verlagsmitarbeiter intensiv mit Fragen der Interkulturalität auseinandergesetzt. Ihm geht es in erster Linie darum, die okzidental geprägte Sichtweise zu hinterfragen und die gemeinsame Geschichte von Orient und Okzident in den Blick zu nehmen. Aus diesen Überlegungen ergibt sich für den Autor ein neuer Blick auf das Entwicklungsmodell SEKEM, das seit über 30 Jahren in Ägypten modellhaft am Aufbau einer neuen Gemeinschaft arbeitet. Diese Initiative integriert ökonomische, ökologische, soziale und künstlerische Tätigkeiten im Entwicklungsprozeß. Es ist für Baumgartner das brauchbarste Zukunftsmodell für die nordafrikanischen Staaten.Der arabische Frühling habe daher bereits 1977, dem Gründungsjahr von SEKEM, unweit von Kairo begonnen, als der Ägypter Ibrahim Abouleish mit der Bebauung eines Stücks Wüste begonnen und mit der Methode der biologisch-dynamischen Landwirtschaft den ökonomischen Erfolg mit ökologischer Verantwortung in Einklang gebracht habe (vgl. S.83). Heute sind bei SEKEM 2000 Menschen in mehreren Betrieben tätig und der Gründer der Initiative erhielt den Right Livelihood Award. SEKEM hat Nachhaltigkeit zum Kernbegriff all seiner Tätigkeiten erklärt und umfaßt viele Bereiche des sozialen Lebens, Verbesserung der Arbeitsbedingungen, Nachhaltigkeit auf Managementebene sowie die Öko-Sphäre als Teil eines großen, umfassenden Lebenszusammenhanges. Wenn es um die Zukunft des arabischen Frühlings geht, so komme dieser nach Baumgartner an SEKEM nicht vorbei. Denn: „Ökologie als ökonomischer Motor ist für die arabischen Länder, ob sie mit Ölquellen gesegnet sind oder nicht, die Strategie, die am meisten Zukunft verspricht.“ (S. 59) A. A.

 

Baumgartner, Daniel: Der Arabische Frühling zwischen Zorn und Zukunft. Basel: Futurum-Verl., 2012.. 96 S., € 10,90 [D], 11,70 [A], sFr 19,10

 

ISBN 978-3-85636-233-1