Der arabische Frühling

Ausgabe: 2012 | 3

Als aufmerksamer journalistischer Beobachter ist Jörg Armbruster Chronist der Ereignisse und Augenzeuge zugleich. Als solcher sprach er mit Organisatoren der Aufstände, mit Bloggern, politischen Gefangenen und Politikern, die vielleicht die Zukunft der Region mitbestimmen werden. Für den ARD-Korrespondenten sind es nicht so sehr die Wünsche nach ökonomischer Verbesserung, diese auch, aber es geht bei den Aufständen seiner Ansicht nach um die Erlangung demokratischer Politik, um Mitbestimmung, Teilhabe an politischen Prozessen, um Respekt, Würde und Selbstbestimmung als Bedürfnisse und Rechte aller Menschen unabhängig von ihrer religiösen Ausrichtung. Vor allem aber sei es die Jugend ohne Perspektive, die sich nun zu Wort meldet, so auch Armbruster. „Unter dreißig sind heute in der arabischen Welt über 350 Millionen Menschen, von denen mindestens jeder vierte keine Arbeit hat.“ (S. 234)

 

Der Blick über die Grenzen Ägyptens hinaus zeigt für den Journalisten keinen arabischen Frühling. Denn wir wüssten immer noch nicht, was aus Syrien wird, aus dem Jemen unter Saleh oder aus Bahrain, wo sich bisher das Königsregime behauptet.

 

 

 

Demokratisierung oder Gottesstaat?

 

Grundsätzlich spielen zwischen den Koordinaten von Israels Sicherheit, arabischem Öl und dem Kampf gegen den Terrorismus Kriterien wie Menschenrechte und Demokratie nur eine untergeordnete Rolle, so der Autor. Im Westen argumentierten viele, dass der Islam eine pluralistische Demokratie ausschließe. „Der Islam selbst sei das größte Hindernis, diese totalitäre Konfession, die nie eine Aufklärung erlebt habe, bestimme die Politik, das Alltagsleben und jede Lebensäußerung der Gläubigen, daher habe eine pluralistische Demokratie bei derartig religionsgesteuerten Menschen keine Chance. Islam und Demokratie schließen sich aus.“ (S. 196f.) Ein weiteres oft gehörtes Argument sei die angeblich demokratiefeindliche Kultur der arabischen Welt. Ein vom Reporter zitierter ägyptischer Sozialwissenschaftler kommt hier zu einem ganz anderen Ergebnis und hält fest, dass auf Grund seiner Befragungen die meisten Menschen eine gewählte Regierung ihren Alleinherrschern vorzögen. Die Bereitschaft, demokratische Institutionen und Werte zu unterstützen, sei in den meisten Ländern stark ausgeprägt. „Eine Mehrheit der Muslime beurteilt die undemokratisch gewählten Regenten negativ und verlangt echte demokratische Regierungsformen für ihre Länder.“ (S. 198)

 

Kurzfristig werden wohl, wie wir gesehen haben, Islamisten wie die ägyptischen Moslembrüder zu den Nutznießern der Demokratisierung gehören und in den Parlamenten als starke Fraktionen vertreten sein. Gleichzeitig wird es den europäischen Ländern nicht möglich sein, auf die neuen Demokratien solchen Druck auszuüben, wie auf die alten Diktatoren, ist Armbruster überzeugt. (vgl. S. 199) Wieviel Islam bzw. wie viel Religion wird aber tatsächlich in den neuen Verfassungen festgeschrieben sein, wie viel Meinungsfreiheit darf es also sein in einem demokratischen Ägypten oder Tunesien? Der Westen jedenfalls, so der ARD-Korrespondent, tue gut daran, diese Demokratisierung ohne Bevormundung zu begleiten. „Zu wirklich demokratisch funktionierenden Staaten ist es allerdings noch ein weiter Weg in der arabischen Welt, einen langen Marathon habe der Nahe Osten noch vor sich“, so der zitierte Demokratieforscher Moataz Abdel Fattah (S. 199).

 

Jedenfalls sollte der Westen aufhören, so Armbruster, den Begriff „westliche Demokratie“ als das „einzige Gütesiegel einer Demokratie zu begreifen“ (S. 231f.). Und man werde sich auch damit abfinden müssen, daß diese neu entstandenen Demokratien am Ende anders aussehen werden als unsere, „islamisch sicherlich, aber nicht automatisch islamistisch“ (S. 231).

 

Am Ende würden die Jugendlichen fragen, was hat mir die Revolution eigentlich gebracht und wann habt ihr einen Arbeitsplatz für mich? Deshalb lautet die einfache Zukunftsformel bei Armbruster: keine Jobs, kein dauerhaftes Vertrauen in die Demokratie. Womit sich der Kreis wieder schließt und wir zu den ökonomischen Beweggründen (vgl. Kraushaar) des arabischen Frühlings zurückkehren. sind. Hier zeigt sich auch die nicht ganz konzise Argumentation bei Armbruster, der einerseits den Willen zur Freiheit und Selbstbestimmung als Beweggründe der Aufstände sieht, andererseits aber stark ökonomisch argumentiert. A. A.

 

Armbruster, Jörg: Der arabische Frühling. Als die islamische Jugend begann, die Welt zu verändern. Frankfurt/M.: Westend-Verl., 2011. 238 S., € 16,99 [D], 17,50 [A], sFr 29,70

 

ISBN 978-3-938060-44-5