Zeitenwende im arabischen Raum

Ausgabe: 2012 | 3

Die AutorInnen eines Sammelbandes, der vom Österreichischen Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung herausgegebenen wurde, gehen der Frage nach, welche Bedeutung die Zivilgesellschaft für die arabischen Revolutionen sowie die politische und sozio-ökonomische Neugestaltung der Gesellschaft hat und welche Rolle dabei der Islam spielt? Man versucht auf umfassende Weise der Komplexität der Ereignisse und den Auswirkungen gerecht zu werden. Wie kam es dazu, dass die Bevölkerung in den arabischen Ländern den „Zeitgeist“ traf und ihre oppressiven Regime – mit internationaler Unterstützung – stürzen konnte? Welche Auswirkungen könnte der „arabische Frühling“ sowohl für die Menschen vor Ort als auch für die internationale Gemeinschaft haben? Das sind nur einige der Fragen, denen sich die Beiträge widmen. Jedenfalls gelten die Umwälzungen in mehrfacher Hinsicht als revolutionär, etwa was die starke Partizipation von arabischen Frauen betrifft oder auch die Beziehungen zwischen den Religionen, wobei all diese Prozesse bis dato noch längst nicht abgeschlossen seien, so der Grundtenor einiger Beiträge. „Wie ungewiss das Gelingen der Demokratisierungsbestrebungen ist, zeigt sich nicht zuletzt an den jüngsten Ereignissen in Ägypten, wo es bei einer Demonstration koptischer Christen zu Gewaltexzessen ägyptischer Sicherheitskräfte kam.“ (S. 10)

 

Insgesamt dokumentiert der Sammelband die Ergebnisse der 28. Internationalen Sommerakademie. Dabei kommen nicht nur WissenschaftlerInnen wie Reiner Steinweg, Jasmin Khalifa, Christine Schirrmacher oder Karin Kneissl zu Wort, sondern auch Aktivisten und Akteure der Zivilgesellschaft sowie Journalisten wie der ORF-Korrespondent Karim El-Gawhari, der in seinem Beitrag die Reaktionen der westlichen Welt auf die arabischen Revolutionen beleuchtet und zahlreiche Versäumnisse und Fehleinschätzungen seitens der europäischen Politik konstatiert. Als Kenner der Verhältnisse v. a. in Ägypten ist für ihn der Ausgang der Aufstände ebenfalls völlig ungewiss, wie die Turbulenzen zur Wahl des Parlaments und zum Präsidenten im Sommer d. J. nachdrücklich belegen.

 

 

 

Neue Rolle der Frauen

 

Der Band ist in fünf Teile gegliedert, die verschiedene Facetten des „arabischen Frühlings“ und vor allem die Auswirkungen auf Europa widerspiegeln. Bei den arabischen Ländern liegt der Schwerpunkt auf Ägypten. Zunächst geht es darum, inwieweit Demokratisierung gelingen kann und welche Rolle dabei der Zivilgesellschaft zukommt. Fritz Edlinger verleiht in seinem Aufsatz sogar der Hoffnung Ausdruck, „dass sich auch die österreichische Jugend von dieser neuen Jugendbewegung animieren“ lasse. Wie man anhand der jüngsten Ereignisse in Großbritannien, Griechenland und Spanien, wie auch in Frankreich erkennen könne, sei „erstens die Demokratie auch in Europa nicht in Stein gemeißelt und zweitens auch die europäische Jugend nicht völlig angepasst, konsumorientiert und entpolitisiert“ (S. 23) (vgl. auch den Beitrag zur „rebellierenden Demokratie“).

 

Teil zwei beschäftigt sich mit den Zusammenhängen von Demokratieentwicklung und religiösem Fundamentalismus. Christine Schirrmacher betrachtet die Rolle des Islamismus während der arabischen Revolution in einer „Momentaufnahme“, weil die Ergebnisse noch ganz und gar offen seien. Sie wagt allerdings eine, nach Ländern differenziert, vorsichtige Einschätzung der Demokratiefähigkeit: In Tunesien und Ägypten scheint der Weg zur Demokratie am ehesten möglich. In Saudi-Arabien versuche die Regierung, „den Rebellen die Rebellion mit 130 Mrd. US $ für den Wohnungsbau und Krankenhäuser bei Anhebung des Mindestlohns im Staatsdienst, Erhöhung der Arbeitslosengelder und der Löhne der Sicherheitskräfte sowie die Schaffung von 60.000 Stellen im Innenministerium abzukaufen“ (S. 89). In Bahrain wurde jeder Protest unterbunden. Eine Schlüsselstellung wird Syrien zugedacht und es „mehren sich die Hinweise, dass der Iran das Assad-Regime bei der Unterdrückung der Rebellen tatkräftig unterstützt“. Wenn Syrien fallen würde sei zu befürchten, „dass das Gleichgewicht der ganzen Region ins Wanken käme“, so ein weiterer Befund von Schirrmacher(S. 90).

 

In Teil drei beleuchtet Soumaya Ibrahim Huber die Rolle der ägyptischen Frau anhand zweier umstrittener religiöser Stellen aus dem Koran und der Sunna, mit denen in muslimischen Gesellschaften traditionell die männliche Überlegenheit begründet wird. Leider können die knappen Ausführungen zum Geschlechterverhältnis im Islam jedoch kaum zur Klärung der brisanten Angelegenheit beitragen.

 

Schließlich stehen die Auswirkungen der arabischen Revolutionen („Arabellion“) auf die politischen, militärischen und ökonomischen Kräfteverhältnisse in der Region zur Debatte. Dabei wirdoffensichtlich, dass die veränderte Geopolitik im arabischen Raum Auswirkungen auf den israelisch-palästinensischen Konflikt hat. Die Glaubwürdigkeit Europas hängt demnach nach Einschätzung einiger AutorInnen wesentlich davon ab, ob es gelingt, eine faire Lösung des Palästina-Problems auf Grundlage der Zwei-Staaten-Lösung zu finden. A. A.

 

Zeitenwende im arabischen Raum. Welche Antwort findet Europa? Hrsg. v. Österreichischen Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung / Bert Preiss. Wien: LIT-Verl., 2012. 333 S., € 9,80 [D], 10,10 [A],

 

sFr 17,20 ; ISBN 978-3643503626