Die vor kurzem geglückte Entschlüsselung des menschlichen Genoms beschreibt die gemeinsame genetische Ausstattung der Menschen und ermöglicht einen Vergleich mit dem Genom anderer Organismen. Zur Aufklärung der Funktion einzelner Gene und insbesondere an der Entstehung von Krankheiten beteiligter Genmutationen sind jedoch die genetischen Unterschiede zwischen den Menschen von größerer Bedeutung. Mitarbeiter des Büros für Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages haben den aktuellen Wissensstand über die medizinischen Forschungen zur gentechnischen (Früh)erkennung von Krankheiten (bis zum Jahr 2000) zusammengefasst und die Hoffnungen sowie die Befürchtungen, die mit diesem Forschungsfeld verbunden werden, bewertet.
Beschrieben werden Gentests in der Forschung, der beginnenden medizinischen Praxis sowie in der Arbeitsmedizin. Ein kurzes Kapitel ist dem Zusammenhang von Gentests und Versicherungen gewidmet.
Die größten Fortschritte werden im Bereich der Diagnose von Infektions- und Tumorerkrankungen verzeichnet. Ein Beispiel für die Erregerdiagnostik ist die Untersuchung der jährlich ca. 3,2 Mill. Blutspenden in der BRD, die seit 1998 DNA-analytisch auf AIDS und Hepatitis-Viren gestestet werden. Und da jedes Krebsgeschehen mit der Veränderung auf der DNA-Ebene einhergeht, eignen sich Chromosomen- und DNA-analytische Methoden auch gut zur Früherkennung, Verlaufsbeobachtung und zur Erfolgskontrolle von Behandlungen. Ambivalent beurteilt werden die mittlerweile angebotenen Tests zur Prognose von Erkrankungswahrscheinlichkeiten auf Grund des Erbmaterials oder aktueller Dispositionen. Geforscht wird hier vor allem im Bereich multifaktorieller, durch mehrere Gene und Umwelteinflüsse bedingter Krankheiten, zu denen neben Krebs auch Herzkreislauf-, Stoffwechsel- und neurodegenerative Erkrankungen (Alzheimer) zählen. Problematisch sei die begrenzte Aussagekraft, „da nur ein erhöhtes Risiko für eine Erkrankung, nicht aber eine sichere Prognose möglich ist“ (S.9). Notwendig seien die Freiwilligkeit, entsprechende, begleitende Beratungen sowie auch das „Recht auf Nicht-Wissen“ (S. 57). Problematisiert werden auch sogenannte Bevölkerungsscree-nings, die ganze Populationen erfassen, sowie die Pränatal- (Untersuchungen von Embryos) bzw. Präimplantationsdiagnostik (Tests von Eizellen), die der Selektionsmedizin Tür und Tor öffnen könnten. Für die Arbeitsmedizin, die zum einen Grenzwerte für potentielle gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen festlegt, zum anderen Nachweise im Falle von Erkrankungen für die Betroffenen erbringen soll, werden Chancen auf bessere Informationen gesehen.
Vorsichtig optimistisch beurteilen die Autoren schließlich die großen Hoffnungen der Pharmaindustrie auf gentechnische Verfahren, die zu speziellen Medikamenten für bestimmte Patientengruppen oder zu individuell optimalen Wirkungsdosen führen sollen. Zusammenfassend meinen die Experten, dass in der Zukunft weitere sinnvoll testbare, d.h. präventiv behandelbare Krankheitsdispositionen mittels Genanalysen möglich werden. Zum anderen müsse realistischerweise damit gerechnet werden, „dass sich weitgehend sinnlose Tests etablieren können.“ Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigten, „dass viele Diagnose- und Therapieverfahren angewendet (und auch von den Krankenkassen finanziert) werden, deren Sinn und Zweck nie wissenschaftlich einleuchtend begründet oder gar evaluiert worden sind.“ (S. 9) H. H.
Hennen, Leonhard; Petermann, Thomas; Sauter, Arnold: Das genetische Orakel. Prognosen und Diagnosen durch Gentests – eine aktuelle Bilanz. Berlin: Ed. Sigma, 2001. 164 S., € 18,40 / DM 36, / sFr / öS 253,10