Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus

Ausgabe: 2011 | 3

Der fulminante Siegeszug des „Neoliberalismus“ geht offensichtlich munter weiter. Obwohl die Banken für die Krise 2008/2009 verantwortlich waren, gingen sie daraus gestärkt hervor. Man fand, dass sie für die Wirtschaft des frühen 21. Jahrhunderts unverzichtbar seien und beschloss, sie vor den Folgen ihrer eigenen Torheit zu bewahren, so der britische Politikwissenschaftler Colin Crouch im Rückblick: „Wir haben erlebt, wie eine von der rücksichtslosen Gier der Banken verursachte Krise in ein Problem der Staatshaushalte umgewandelt wurde.“ (S. 246) Der Autor von „Postdemokratie“, einer vielbeachteten Analyse des Zustands der gegenwärtigen Demokratie, beleuchtet die Ideengeschichte des Neoliberalismus und zeigt, wie riesige Konzerne Demokratie und Markt bedrohen.

 

 

 

Macht der Großkonzerne

 

Nach Ansicht von Crouch müsse man sich endlich davon verabschieden, wirtschaftliche Dinge unter dem Gegensatz „Staat versus Markt“ zu debattieren. Der real existierende Neoliberalismus, so der Autor, setze nicht so sehr auf freie Marktwirtschaft, sondern beruhe vielmehr auf dem politischen Einfluss von Großkonzernen. Er unterstellt dem Neoliberalismus letztlich, auf folgendem Paradox zu beruhen: Einerseits solle sich der Staat aus dem ökonomischen Geschehen heraushalten, andererseits aber die Interessen der großen Konzerne und Finanzinstitute bedienen, weil sie für das Volkseinkommen „systemrelevant“ seien. Wer aber systemrelevant ist, so der Wissenschaftler, unterliege nicht mehr den Regeln des Marktes und könne sich deshalb vom Markt getrost emanzipieren.

 

Wenn aber nun ein System von nur zwei Akteuren – den Staaten und den Großkonzernen – getragen wird und vor allem die Konzerne im Zuge der Globalisierung und wachsender Informationsasymmetrien an Einfluss gewinnen, dann erübrigt sich wohl die Frage, warum ein solches System überleben konnte. Dann wiederum handelt es sich keineswegs um ein „befremdliches Überleben des Neoliberalismus“, wie im Titel unterstellt, sondern ist durchaus logisch und nachvollziehbar. Für Crouch geht es aber noch um mehr als ums bloße Überleben, denn heute wissen die Banken, dass der Staat sie retten wird und ihre Rettung darin besteht, dass „man den Sozialstaat stutzt und die Ausgaben der öffentlichen Hand beschneidet“ (S. 12). Das wiederum führt dazu, dass die Banken jetzt höhere Risiken eingehen können.

 

 

 

Zivilgesellschaft als Macht

 

Der Politologe erinnert an eine der wichtigsten Errungenschaften des neoliberalen Projekts, die nämlich darin besteht, „mehr oder weniger alle Institutionen der Gesellschaft – von Universitäten über Krankenhäuser und Wohlfahrtseinrichtungen bis hin zu Behörden – unter die Verpflichtung zu stellen, so zu agieren, als ob sie profit-orientierte Unternehmen wären“ (S. 231).Wie aber können wir in einer Welt überleben, in der alles der Gewinnmaximierung und der Effizienz untergeordnet scheint und in der wir als Einzelne kaum Einflußmöglichkeiten haben?

 

Um den Dreikampf zwischen Staat, Markt und Großunternehmen zu bewältigen, plädiert Crouch für das Eingreifen einer vierten Kraft, „nämlich einer engagierten, kampflustigen, vielstimmigen Zivilgesellschaft, die die Nutznießer des neoliberalen Arrangements mit ihren Forderungen unter Druck setzt und ihre Verfehlungen anprangert“ (S. 14). Der Staat und die Unternehmen dürfen nicht sich selbst überlassen werden. Nur durch „starke zivilgesellschaftliche Kräfte, die in der Lage sind, vielfältige Formen von Druck auf den verschiedensten Gebieten auszuüben, damit wir vergleichen und kritisieren können“ (S. 242) und die sich v. a. gegen die Ausschließlichkeit ökonomischen Denkens wehren, könne ein besseres Leben gelingen. Die Hoffnungen in die Zivilgesellschaft beschränken sich hier bescheiden darauf, „dass man erfolgreich um kleine Fortschritte kämpft“ (S. 244). Einen Hoffnungsschimmer sieht der Autor dort, wo heute schon um Offenheit und Transparenz gekämpft wird und nicht zuletzt in den neuen elektronischen Kommunikationsformen, die ebenfalls dazu beitragen, eine kritische Öffentlichkeit zu etablieren. Entmutigend und enttäuschend zugleich ist die abschließende Einschätzung von Crouch: „Die wirtschaftlichen und politischen Kräfte, die hinter dieser Agenda (der neoliberalen) stehen, sind zu mächtig, als dass ihre Vorherrschaft ernsthaft ins Wanken gebracht werden könnte“ (S. 246).

 

Insgesamt bringt der Politologe in seinem neuen Buch kaum wirklich neue Fakten und Argumente, entwickelt aber eine durchaus lesenswerte Gesamtschau und einmal mehr einen desillusionierenden Blick auf das neoliberale Zeitalter. Was aber bleibt nach dieser Analyse vom vielbeschworenen Mut-, Wut- oder Engagement-Bürger? Hoffentlich nicht der Ohnmachts-Bürger? Wie zahlreiche Analysen in diesem Kapitel zeigen, bewegt sich doch mehr in Richtung Demokratisierung als uns einige Autoren weismachen wollen. A. A.

 

Crouch, Colin: Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus. Postdemokratie II. Berlin: Suhrkamp Verlag, 2011. 248 S.,€ 19,90 [D], 20,50 [A], sFr 33,80

 

ISBN 978-3518-42274-8