Crash-Kurs Intellektuelle Selbstverteidigung

Ausgabe: 2008 | 2

Es wäre naiv zu glauben, die Medien oder die Sprache von Politik und Wissenschaft seien ein Hort objektiver und sachlicher Information. Hier wie dort wird mit immer raffinierteren Tricks versucht, unseren Verstand zu unterlaufen und das Bewusstsein für eigene Interessen zu manipulieren, meint der Autor dieses amüsanten und anekdotenreichen Readers. Zwar nicht alle, aber doch einige Täuschungsmanöver von Politik und Medien wird der Leser nach Lektüre dieses „Kurses zur intellektuellen Selbstverteidigung“ durchschauen. Nicht zuletzt eröffnen Beispiele und Grafiken Einblicke in die Methoden der Manipulation und Täuschung. Baillargeon nennt es die „reflektierende Distanz“, die man dem Vormarsch von Dummheit und Aberglauben, von Propaganda und Manipulation entgegensetzen kann und muss. Im so genannten „Werkzeugkasten des kritischen Denkers“ wird der Leser mit den Eigenheiten von Sprache und Worten sowie von Zahlen und Statistiken vertraut gemacht. Dabei erweist sich die Sprache als überaus taugliches Mittel zur Manipulation der Wahrheit. Die Bandbreite reicht von Begriffen wie „Kollateralschaden“ über Umstrukturierung bis zu „friedenschaffende Maßnahmen“, wenn es darum geht, negative Ereignisse in positivem Licht erscheinen zu lassen. Wir lernen rhetorische Kniffe, Fehlschlüsse, Verallgemeinerungen, Zweideutigkeiten sowie fremdwortreiche Imponiersprache als Mittel der täglichen Täuschung kennen und zu dechiffrieren.

 

Ähnliches gelingt dem französischen Pädagogik-Professor, wenn er uns den Umgang mit Zahlen veranschaulicht und sich Fragen der Wahrscheinlichkeit und Statistik widmet. Denn, „wer mit der Beweiskraft der Zahlen jongliert, dem sollten wir unsere kritische Aufmerksamkeit zuwenden“ (S. 105). In einer „Mathematik für mündige Bürger“ lernen wir etwas über Logik (inklusive Paralogismen) kennen, und imAbschnitt „Magie“ erfahrenwir u. a., dass nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Weitere Möglichkeiten der Täuschung sieht der Autor im „Forer-Effekt“ (der Neigung, vage und allgemeine Beschreibungen, die auf jedermann zutreffen, so zu lesen, als seien sie nur für uns gemacht), dem „Wason-Auswahltest“ (wir neigen dazu, alles, was unsere eigenen Hypothesen in Frage stellt, auszublenden und alles in den Vordergrund zu schieben, was sie stützen könnte) oder den bekannten „Milgram-Experimenten zum Zusammenhang von Befehl, Strafe und Lerneffekt. Zahlreiche interessante Beispiele – vom Kartenspielertrick über die Wahrsagerei bis zur Mnemotechnik veranschaulichen weitere Täuschungsmanöver. Wir erfahren auch etwas über unsere mangelnde Fähigkeit, Wahrscheinlichkeiten richtig einzuschätzen. Der „Pygmalion-Effekt“ schließlich macht uns bewusst, welche Rolle unsere Erwartungen gegenüber anderen Menschen spielen können.

 

Im Anschluss an den kritischen Blick auf Sprache und Formen der Zahlenblindheit lernen wir, wie diese Instrumente einzusetzen sind, um die Glaubwürdigkeit dessen zu prüfen, was uns als Aussage präsentiert wird. Der Autor zeigt, unter welchen Bedingungen und in welchem Maß wir jene Informationen, die wir durch persönliche Erfahrung, wissenschaftliche Vorgehensweise und Medien erhalten, als Wahrheit gelten lassen. Baillargeon macht kein Hehl daraus, dass unsere Wahrnehmung als ein Konstrukt zu sehen ist (vgl. S. 207). Er veranschaulicht dies u. a. am Doppelbild einer zugleich (und je nach Sichtweise) „jungen/alten Frau“.

 

Die Sorge um den bedauerlichen Status wissenschaftlichen Denkens, das Fuß-fassen zahlreicher Neo-Religionen in unserer Gesellschaft und v. a. den mangelnden Zugang der demokratisch legitimierten Bürger zu fundieter Information und ihren Quellen sollte uns, so die Intension des Autors, zu skeptischem Denken anregen. Das bedeutet aber nicht, und hier wird Carl Sagan als Kronzeuge angerufen, dass Skepsis allein ausreicht. „Wenn Sie stets nur skeptisch sind, wird es keine neue Idee je bis zu Ihnen schaffen. Sie werden nie etwas Neues lernen. Sie werden in der Überzeugung, die Welt sei nur von Dummheit beherrscht, zum alten Ekel verkommen.“ (S.365). Skeptisches Denken sollte aber zur individuellen Realitäts- und Meinungsbildung als Grundlage für eigenverantwortliches Entscheiden und Handeln beitragen. A. A.

 

Baillargeon, Normand: Crash-Kurs Intellektuelle Selbstverteidigung. Wie wir die alltägliche Manipulation aus Blenden, Täuschen und Vernebeln durchschauen. München: Riemann, 2008. 377 S., € 18,- [D], 18,50 [A], sFr 31,90

 

ISBN 978-3-570-50093-4