Aus kontrolliertem Raubbau

Ausgabe: 2015 | 4

image008Dieses Buch geht an die Nieren, vor allem bei jenen, die allzu viel Vertrauen in Gütesiegel, Zertifizierungen und in gut gemeinte Nachhaltigkeit haben. Gleichzeitig zieht es einen in seinen Bann und fasziniert, denn es ist eines dieser Bücher, die man - einmal begonnen - nur schwer wieder aus der Hand legen mag. Kathrin Hartmann hat eine spannende und gut lesbare Abrechnung mit der Green Economy verfasst, die deren Versprechungen, Wirtschaftswachstum nachhaltig und sozial gerecht zu gestalten, Lügen straft. Die Autorin versucht einerseits vor Ort herauszufinden, was die Folgen dieser Ideologie sind, und hat sich andererseits die Akteure in diesem Spiel näher angesehen.

In Indonesien hat Hartmann über die Palmölplantagen recherchiert und dabei kein nachhaltiges Palmöl gefunden, sondern nur Leid und Zerstörung, die Vertreibung von Indigenen, von Kleinbauern, die Zerstörung von Wäldern und Moorgebieten. Palmöl ist übrigens mit rund 60 Millionen Tonnen pro Jahr das meistproduzierte Pflanzenfett der Welt (vgl. S. 29). Doch damit nicht genug. Die Autorin berichtet weiter über genmanipuliertes Saatgut der Firma Monsanto, bekannt durch das Entlaubungsmittels Agent Orange, oder über den Konzern Coca-Cola und dessen Plan, Microkredite zu vergeben, damit die indigene Bevölkerung Trinkwasser kauft. In Bangladesch werden Shrimps für den reichen Norden in Aquakulturen gezüchtet. Was sie dort vorgefunden hat, bezeichnet Hartmann als "Apokalypse aus Matsch".

Ihr nicht wenig schmeichelhaftes Zwischenfazit lautet daher: Der allergrößte Witz an der Green Economy ist, dass eigentlich mit einem Instrument, dass dem Klima nutzen sollte, noch größerer Klimaschaden angerichtet wird (vgl. Interview auf youtube). Sie kritisiert auch, dass die Deutungshoheit darüber, was nachhaltig ist und was nicht, den reichen Ländern des Nordens obliegt, die von der Zerstörung profitieren, während die Menschen vor Ort überhaupt nicht gehört werden.

Interessant ist in diesem Zusammenhang die Rolle der Melinda und Bill Gates-Stiftung. Für die Autorin zeigt sich gerade hier das Machtgefüge des Grünen Kapitalismus, der ihrer Ansicht nach durchaus als Grüner Kolonialismus bezeichnet werden kann. Die Gates-Foundation arbeitet nie mit sozialen Bewegungen oder lokalen Aktivisten zusammen. Sie sorgt einzig und allein für eine gute Presse und Gewinnmaximierung der Großkonzerne, an denen sie auch beteiligt ist. "Auch im grünen Kapitalismus bleiben die altbekannten Macht-, Besitz- und Produktionsverhältnisse bestehen." (S. 19) Bereits Niko Paech hat das grüne Wachstum als "Amoklauf gegen die Natur" bezeichnet. Seinem Gegenkonzept kann auch Hartmann vieles abgewinnen: Postwachstum heißt weniger Konsum, weniger Produktion, verkürzte Wertstoffketten, regionale Produktion, Teilen statt Kaufen, Selbst- statt Fremdversorgung, Zeitwohlstand statt Hamsterrad, soziale Beziehungen und Sesshaftigkeit statt dauernd durch die Welt zu hetzen (vgl. S. 22).

Die Autorin zeigt nachhaltig beeindruckend, dass alle Versuche, destruktive Techniken und Rohstoffe durch "nachhaltigere" zu ersetzen, gescheitert sind bzw. die Probleme noch verschärft haben. Überzeugend argumentiert sie, dass nicht Lösungen die Probleme beseitigen. Schon gar nicht, und das wusste schon Albert Einstein, können sie mit derselben Denkweise etwas lösen, durch die sie entstanden sind. Notwendig ist "ein ganz neues, freies und solidarisches Denken", das zu einem anderen Handeln führt. Die "Diktatur der Gegenwart" (Harald Welzer) durchbrechen wir nur durch Aufklärung, Erkenntnis, Diskurs, Protest und solidarischen Widerstand. "Die Alternativen, die heute schon gelebt und ausprobiert werden, die kleinen Revolutionen von Kommunen, die ihre Energieversorgung in die Hand genommen haben, die Essenskooperativen und Gemeinschaftsgärten, die solidarische Landwirtschaft zwischen Bürgern und Bauern, die Genossenschaften, die zeigen, dass ein anderes Wirtschaften möglich ist..." (S. 389). Alfred Auer

 Hartmann, Kathrin: Aus kontrolliertem Raubbau. Wie Politik und Wirtschaft das Klima anheizen, Natur vernichten und Armut produzieren. München: Blessing, 2015. 448 S., € 18,99 [D] | € 19,60 [A]

ISBN  978-3-89667-532-3