Zum Paradigmenwechsel in den Technikwissenschaften

Ausgabe: 1998 | 3

Innerhalb der Technikwissenschaften sind in den letzten Jahren neue Ansätze entstanden, die das traditionelle Technikverständnis überschreiten. Der Wissenschaftler Günter Ropohl (Frankfurt/M.) spricht von einem Paradigmenwechsel in den Technikwissenschaften und belegt dies mit allgemeinen Analysen und Fallstudien. Einer Bestandsaufnahme der Krisensymptome folgen neue Ansätze, ausgewählte Beispiele und schließlich Perspektiven für die technikwissenschaftliche Lehre sowie für die moralische und politische Steuerung künftiger Technisierung.

Kritik übt der Autor an der Sektoralisierung der Moderne und damit an der Vorstellung, "man brauche nur die Teile zu verbessern, und das Gemeinwohl des gesellschaftlichen Ganzen stelle sich von alleine her" (S.2). In der Aufhebung der Sektoralisierung sieht Ropohl eine historische Aufgabe des bevorstehenden Jahrtausends, meint damit aber nicht eine Rückgängigmachung der Sektoralisierung des Wissens, des Handels und der Institutionen, sondern die Entwicklung intersektoraler Institutionen, "die beispielsweise die Bewertungen und Entscheidungen über technische Innovationen einer normativen Koordination von Technik, Wirtschaft, Politik und Moral unterwerfen" (S.4f.).

Mit Blick auf das traditionelle Technikverständnis zeigt der Autor, daß man erst jetzt damit beginnt, die Technik der Zukunft als eine pluralistische Technik zu begreifen, in der eine Vielzahl verschiedenartiger Lösungsformen miteinander konkurrieren. Anschließend beschreibt Ropohl neue Ansätze wie Wertanalyse, Systemtechnik oder Projektmanagement. An drei Technikfeldern (Technische Netzwerke, Verbreitung des Telefons, Flexible Fertigungssysteme) zeigt er exemplarisch den Übergang zum neuen Paradigma.

Perspektiven für die Zukunft entwickelt er schließlich zur Ingenieurausbildung, wobei ihm ein integratives Modell (eine systemische Multiperspektivität des Wissens und Verstehens) vorschwebt. "Die Alternative, die ich favorisiere, besteht darin, daß der einzelne ausgewählte Wirklichkeitsbereiche in mehreren wichtigen Perspektiven zu begreifen und diese Perspektiven zu verknüpfen lernt, ohne bestimmte Schwerpunktbildungen zu vernachlässigen." (S. 141) Ropohl fordert einen "Zwei-Drittel-Experten", der ein Drittel seiner Qualifikation für das Verständnis des Gesamtzusammenhangs reserviert. Darüber hinaus will er eine Synthese von Ingenieurethik und Technikbewertung insofern erreichen, als die Defizite des einen durch Stärken des anderen ausgeglichen werden und umgekehrt. Es kommt darauf an, "den Individuen institutionelle Unterstützung und den Institutionen individuelle Unterstützung" zu geben (S.162). Der Autor spricht hier ausdrücklich von einer neuen Aufgabe im Sinne einer "Konstruktion" und meint abschließend, daß wir ohnedies "sehr erfinderisch werden müssen, um alle unsere Erfindungen zu überleben".

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 Ropohl, Günter: Wie die Technik zur Vernunft kommt. Beiträge zum Paradigmenwechsel in den Technikwissenschaften. Amsterdam: GIB Verlag Fakultas. 177 S. (Technik interdisziplinär; 3) DM 39, - / sFr 32, - / ö5 282