Wikileaks und die Folgen

Ausgabe: 2011 | 1

Julian Assange und WikiLeaks haben 2010 die Welt mit der Veröffentlichung von geheimen Dokumenten im Internet in Atem gehalten. Die Hysterie hat sich mittlerweile wieder etwas gelegt, im Fahrwasser dieses Medienrummels sind aber gleich mehrere Bücher zum Thema erschienen. Zunächst haben die Spiegel-Autoren Marcel Rosenbach und Holger Stark über den „Staatsfeind WikiLeaks“ berichtet, es folgte der ehemalige WikiLeaks-Sprecher Daniel Domscheit-Berg mit seiner Version „der gefährlichsten Website der Welt“ und der Abrechnung mit seinem ehemaligen Mitstreiter. In diesem Reigen darf natürlich eine Biographie von Assange als „Mann, der die Welt verändert“ (Carsten Görig u. Kathrin Nord) nicht fehlen. Weniger plakativ titelt der Suhrkamp-Verlag mit „WikiLeaks und die Folgen“ und versucht damit, eine erste Bilanz zu ziehen und die Zusammenhänge jenseits persönlicher Befindlichkeiten darzustellen. Alfred Auer versucht ob der Vielzahl an Argumenten und Meinungen die Übersicht zu bewahren und ein Bild der gegenwärtigen Lage zu zeichnen.

 

 

 

WikiLeaks und die Folgen

 

Die „Weltmacht WikiLeaks“ (so der Titel der ARD-Doku über Aufstieg und Fall des „Popstars Julian Assange“) ließ Regierungen weltweit erzittern. Nicht nur die Deutsche Bundesregierung zeigte sich über die Veröffentlichungen besorgt. Die US-Diplomatie sah darin gar eine „Gefahr für die nationale Sicherheit“. Mit den Enthüllungen hat die Internet-Plattform zunächst einmal nur viel Diplomatenklatsch enthüllt. Einige der Depeschen enthielten aber durchaus politischen Sprengstoff (siehe Kasten).

 

Der von Heinrich Geiselberger herausgegebene Sammelband versucht zu klären, wie WikiLeaks die internationale Diplomatie und damit die Welt verändern könnte. Er bietet dem Leser aber auch einen guten Überblick über die Debatte, die zunächst so unübersichtlich und verwirrend erscheint wie die Lawine an Dokumenten (angeblich 250.000 Seiten), die veröffentlicht werden sollten. Die Autoren versuchen in ausführlichen Hintergrundanalysen und Kommentaren aus unterschiedlichen Blickwinkeln Klarheit ins diskursive Durcheinander zu bringen. Zu Wort kommen etwa die Diplomaten John C. Kornblum und Wolfgang Ischinger, der Systemtheoretiker Dirk Baecker und Rahul Sagar, Politikwissenschaftler an der Princeton University. Der amerikanische Internetkritiker Jaron Lanier, selbst einmal Mitglied einer „kryptoanarchischen Hackerbewegung“, warnt in seinem Statement vor dem Machtantritt einer kleinen Gruppe geheimnistuerischer und, wie er sie nennt, „arroganter“ Nerds (technikbesessene Computerfreaks), die er in Anspielung auf Julian Assange und auch aus eigener Erfahrung nicht frei von Machtbesessenheit und Allmachtsphantasien weiß. Von der Illusion des eigenen globalen Überblicks verführt, lässt sich seiner Ansicht nach WikiLeaks von einer kurzsichtigen Gesinnungsethik leiten, die Gefahr läuft, langfristig das Gegenteil ihrer Ziele zu erreichen: die Abschottung liberaler Demokratien und schon jetzt die Bestrafung von Offenheit bei gleichzeitiger Belohnung intransparenter Regime. Er kritisiert aber WikiLeaks auch wegen der widersprüchlichen Strategie: „Die Wikileaks-Methode bestraft eine Nation bzw. jedes menschliche Unterfangen, dem es nicht gelungen ist, absolute, totale Transparenz herzustellen – also alle menschlichen Unterfangen –, belohnt aber perverserweise das vollständige Fehlen von Transparenz.“ (S. 71) Die Strategie der Transparenz, wie sie Assange in einem Essay dargelegt hat, zeigt sich im freien Fluß digitaler Informationen aber in zwei diametral entgegengesetzten Mustern: in totaler Offenheit auf der einen und in absoluter Geheimnistuerei auf der anderen Seite. So sind etwa die kommerziell verwertbaren Dossiers, die Facebook über uns erstellt (hat) oder die Geheimdokumente bei Wikileaks perfekt geschützt. In seinem Artikel über das „Porträt eines Getriebenen“ berichtet der amerikanische Journalist Raffi Khatchadourian mit persönlicher Tuchfühlung über den Gründer und das Phänomen. Über kurz oder lang müsse sich Wikileaks dem paradoxen Charakter seiner Schöpfung stellen, meint er: Macht ohne Rechenschaftspflicht sei in der Website genetisch verankert „und wird immer deutlicher hervortreten, je mehr sie Wikileaks in eine Institution verwandelt“ (S. 45).

 

Anfänge der Kryptographie

 

Weiters geben die beiden deutschen Journalisten Detlef Borchers (Die Wurzeln von Wikileaks) und Niklas Hoffmann (Der Gegenverschwörer) u. a. Grundlegendes zum Thema „Kryptographie“ und über die Zeit Assanges bei den „Cypherpunks“ zum Besten. Borchers berichtet etwa von einem Konvolut an E-Mails, die Assange zwischen 1995 und 2002 auf der Mailingliste „Cypherpunks“ geschrieben haben soll und die der von ihm im Streit geschiedene WikiLeaks-Mitbegründer Yohn Young auf seiner Seite cryptome.org veröffentlicht hat. Und es gibt noch den Blog „Interesting Question“ unter der Adresse iq.org, den Assange von 2006 bis 2007 unterhielt und inzwischen abgeschaltet hat, der aber im Archiv noch auffindbar ist. Schließlich seien noch zwei essayistische Beiträge des Juristen Christoph Möllers und des Politologen Rahul Sager erwähnt. Hier geht es um die Frage des Verhältnisses von Wikileaks zur Demokratie, einerseits um die „Dialektik der Aufklärung der Politik“, andererseits um den „Mißbrauch von Staatsgeheimnissen“.

 

Ein wichtiger Abschnitt widmet sich dem Thema des Umgangs mit Daten. Es fehlt im Fall der Enthüllungs-Plattform eine nach außen erkennbare Selbstverpflichtung, so der Tenor der Beiträge, und es irritiert die aufreizende Lust an der eigenen Unberechenbarkeit und der Macht, die Spielregeln zu diktieren, wie es in einer Rezension von Thomas Thiel auf F.A.Z.net heißt. Leider vermisst man Beiträge von prominenten Bloggern und des „Chaos Computer Clubs“ oder des Gründers der ersten Enthüllungsplattform John Jong (siehe Kasten). Felix Stalder, Dozent für digitale Kultur an der Zürcher Hochschule der Künste (felix.0penflows.com), nennt vier Trends, die sich im Falle WikiLeaks zu einer explosiven Mischung verbunden haben: 1. die Materialität der Kommunikation, 2. die Konfrontation mit einer Krise der Institutionen, in denen die moralistische Rhetorik der Politik und häßliche Alltagspraktiken immer stärker auseinanderklaffen, 3. erleben wir den Aufstieg neuer Akteure, sogenannter „super-empowered individuals“ und schließlich 4. ist es der Strukturwandel der Öffentlichkeit durch explosionsartige Ausbreitung nichtinstitutioneller Publikationsmöglichkeiten einerseits und Medienkonzentration andererseits.

 

Insgesamt enthält der Sammelband wichtige Argumente von Befürwortern und Gegnern einer Transparenz um jeden Preis und gewährt durchaus erhellende Einblicke in die Denkweise des „Robin Hood des Cyberspace“.

 

Wikileaks und die Folgen. Hrsg. v. Heinrich Geiselberger. Frankfurt/M.: Suhrkamp-Verl., 2010. 239 S., € 10,- [D], 10,30 [A], sFr 17,-

 

ISBN 9783518061701