Technik und Politikberatung

Ausgabe: 2009 | 3

Politik braucht Beratung. Auf diese Notwendigkeit hat schon Jürgen Habermas 1968 hingewiesen, als er von neuen Herausforderungen an die Vermittlung zwischen wissenschaftlich-technischem Sachverstand und politischer Willensbildung sprach. Der Philosophie kommen im Geschäft der gesellschaftlichen Technikgestaltung und Politikberatung eine aufklärende, kritische und hermeneutische Funktionen zu, die für eine demokratische Auseinandersetzung über Fragen des technischen Fortschritts unerlässlich sind.

 

Armin Grunwald, Leiter des Büros für Technikfolgenabschätzung bei Deutschen Bundestag (TAB) und des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse in Karlsruhe, beschäftigt sich mit diesen Fragen auch anhand von konkreten Beispielen wie der zukünftigen Energieversorgung, der Raumfahrt, der Nanotechnologie sowie der Nanobiotechnologie. Im Mittelpunkt stehen dabei Überlegungen zum Umgang mit Wissen in demokratischen Entscheidungsprozessen und das Verhältnis von Bürgern und wissenschaftlichen Experten.

 

„Geht es um Zukunftsfragen des technischen Fortschritts, hat die Politik eine besondere Verantwortung als demokratische Institution und in Gestaltung einer demokratischen Öffentlichkeit. Zu den Aufgaben der Politikberatung gehören, Technikfolgen und Technikkonflikte frühzeitig zu erkennen, komplexe Abwägungen zu Chancen und Risiken durchzuführen und die Kriterien hierfür zu explizieren, unterbelichteten oder übersehenen Perspektiven nachzugehen, Suchräume nach alternativen Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen und zu einem rationalen Umgang mit den dabei unvermeidlichen Unsicherheiten des Wissens aufzuzeigen.“ (S. 7)

 

Politikberatung findet – so Grundwald – immer im Spannungsbereich zwischen demokratischer Öffentlichkeit (die Ansprüche an die Mitgestaltung des technischen Fortschritts anmeldet) und der Forderung an die Technikfolgenabschätzung statt, sich auf die politische Praxis einzulassen. Damit wissenschaftliche Politikberatung und Demokratisierung von Entscheidungsprozessen zum technischen Fortschritt beitragen können, müssen sie dem Ansatz des „kooperativen Diskurses“ folgen, der drei Elemente zusammenführt: 1) das Wertbaumverfahren zur Normenfindung und Wertstrukturierung, 2) ein Expertendiskurs zur Klärung von kognitiven Sachverhalten und 3) die Abwägung möglicher Handlungsoptionen durch Bürgerforen.

 

Neben dieser normativen Zielsetzung gibt es Einschränkungen, die einem demokratietheoretischen Anspruch zuwiderlaufen: 1) Politikberatung findet immer im System der gesellschaftlichen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse statt und ist somit Teil dieses Systems. 2) Wissenschaftliche Experten sind in der Regel auch Interessenvertreter in eigener Sache. 3) Wissenschaftler und Ingenieure können Visionen und Utopien einer technisch verbesserten Zukunft einbringen und somit kommunikative und dispositionale gesellschaftliche Fakten schaffen (vgl.

 

S. 377). Diese „Visionskommunikation“ als Gegenstück zur „Risikokommunikation“ hat starken Einfluss auf die Wahrnehmung der wissenschaftlich-technischen Entwicklung, auf die Einschätzung der Öffentlichkeit hinsichtlich diverser Risikofragen aber auch bezüglich der Forschungsförderung durch politische Instanzen. Wenn aber nun Visionen faktische Bedeutung haben, darf die Diskussion darüber nicht auf Expertenzirkel beschränkt bleiben, sondern muss in der Mitte der Gesellschaft stattfinden. Einem „Vision Assessment“ kommt gar die Aufgabe zu, so Grunwald, Brücken zu den anderen „Zukunftsdebatten“ der Gesellschaft zu schlagen, etwa zur Nachhaltigkeit des Wirtschaftens, zum demografischen Wandel oder zur Zukunft der Entwicklungsländer. Im Sinne des oben angesprochenen Anspruchs, einen Beitrag zur demokratischen Öffentlichkeit zu leisten, hieße das, zuallererst eine Debatte über die generellen Zukünfte zu führen, mit denen Technik winkt oder auch droht, über Schritte, Bedingungen, Prämissen und Hindernisse auf dem Weg in diese Zukünfte.

 

Die berühmte Fragen „Dürfen wir alles, was wir können?“ wird vom Autor klar mit einem Nein beantwortet. Das wiederum fordert die Suche nach ethisch gerechtfertigten Grenzen des Handelns geradezu heraus. Derartige Grenzziehungen haben gleichwohl eine wichtige reflexive Funktion in Bezug auf die Beherrschbarkeit und Gestaltbarkeit von Technik sowie auf die Rolle von Technik jetzt und in Zukunft. (vgl. S. 109)

 

Am Beispiel Nanotechnologie zeigt der Autor, dass eine Debatte über Chancen und Risken viele der Befürchtungen, die von Kontrollverlust bis Katastrophenvorstellungen reichen, entkräften könnte. Es gehe darum, unsere Erwartungen an die Zukunft in unser gegenwärtiges Denken einzubinden, dort zu reflektieren und entsprechend nutzbar zu machen (vgl. S. 122). Auch im Hinblick auf die Langzeitverantwortung der Energiepolitik ergibt sich die Notwendigkeit, an einer deliberativen gesellschaftlichen Verständigung über die künftige Energieversorgung  zu arbeiten (vgl. S. 160).

 

Der sich weiter beschleunigende wissenschaftlich-technische Fortschritt verlangt jedenfalls nach einer Demokratisierung von Entscheidungsprozessen. Konstruktive Anregungen dazu enthält dieser spannende Band. A. A.

 

Grunwald, Armin: Technik und Politikberatung. Philosophische Perspektiven. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 2008. 403 S. (stw; 1901) € 14,- [D], 14,50 [A], sFr 24,50

 

ISBN 978-3-518-29501-4