Solarstaat

Ausgabe: 2012 | 3

Mit dem Beginn des dritten Jahrtausends wenden sich immer mehr Menschen wieder dem Firmament zu. Mag das damit zu tun haben, dass das Leben auf unserem Planeten zunehmend turbulent und von Unsicherheiten geprägt ist? Mit dem Blick zur Sonne verbinden viele die Überwindung des fossilen Zeitalters; die Entdeckung des Himmels gibt sogar Anlass zu einer neuen, ganzheitlichen Erfahrung unserer Herkunft und möglichen Zukunft. Und nicht zuletzt lässt das neu erwachte Interesse für unser Zentralgestirn, die Sonne, viele bisher kaum geahnte Zusammenhänge in neuem Licht erscheinen. Walter Spielmann hat sich kundig gemacht.

 

 

 

Auf dem Weg zum Solarstaat

 

Ziel des von der deutschen Bundesregierung beschlossenen Energiekonzepts ist es, den Anteil der Stromerzeugung aus erneuerbarer Energie bis 2020 auf mindestens 35 Prozent, bis 2030 auf mindestens 50 Prozent, bis 2040 auf mindestens 65 Prozent und bis 2050 auf mindestens 80 Prozent zu steigern.

 

Dieses ambitionierte Ziel bedarf nach Ansicht von Olaf Achilles freilich weit größerer Ambitionen als Politik und Gesellschaft bislang an den Tag legen. Der in Berlin lebende Raumplaner, Journalist und Unternehmer plädiert für nicht weniger als eine „dezentrale Revolution“ um das Solarzeitalter zu beschleunigen. Vonnöten sei nicht die „Energiewende“, sondern vielmehr die „Energiekehre“ als gesamtgesellschaftliches Projekt. Argumente für diese Trendumkehr findet Achilles nicht nur im absehbaren Ende der fossilen und atomaren Option, sondern drüber hinaus in der kulturellen und friedensstiftenden Perspektive für eine zunehmend an ihre Grenzen stoßende Weltgesellschaft.

 

Grundsätzlich stünden, so der Autor, die Aussichten für die „Solarkehre“ in Deutschland nicht schlecht, halten doch 94% der BundesbürgerInnen den Ausbau der Erneuerbaren für „wichtig“ oder sogar „außerordentlich wichtig“ (S. 20). Dennoch würden machtvolle Interessengruppen wesentlich dazu beitragen, dass weiterhin an den herkömmlichen Energien festgehalten werde. Viel zu wenig würde hingegen kommuniziert, dass in Deutschland solare „Schon-da-Energie“ in einem Ausmaß von 567 Billionen kWh und einem Gesamtwert von 6,5 Billionen Euro jährlich zur Verfügung stehe. (S. 37).

 

Trotz der angeführten Aussage, wonach die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung für eine solare Wende eintrete, fehle es an einer gemeinsamen Vision. Zu wenige seien insbesondere von „der Kraft der Sonne“ überzeugt. Das Gesamtprojekt der „Energiekehre“ – so der Autor mit Bezug auf Jeremy Rifkin – sei auf nachfolgende fünf Säulen gegründet: 1.) den grundsätzlichen Umstieg auf die Erneuerbaren, 2.) den Umbau aller Gebäude zu dezentralen Mikrokraftwerken, 3.) den Aufbau von (Wasserstoff-)Speicherkapazitäten, 4.) den Ausbau der Internet-Technologie, um die dezentralen Ressourcen bedarfsorientiert verfügbar zu machen und schließlich, 5.) die Elektrifizierung der Mobilität (vgl. S. 46ff.).

 

 

 

Option Bürgerautonomie

 

Dass die solare Option auch einen grundlegenden Wandel unseres Demokratieverständnisses bewirken könnte, ist eine weitere spannende, hier angesprochene Perspektive. Immerhin 40 Prozent der im Jahr 2010 in Deutschland verfügbaren erneuerbaren Energie befinde sich, so Achilles „in Bürgerhand“, und das damit einhergehende Selbstbewusstsein könne durchaus mit dazu beitragen, die Herrschenden dazu aufzufordern, „uns aus der Sonne zu gehen“ (S. 51). Dass der Strompreis in Deutschland im Zeitraum 2000 – 2011 im Durchschnitt um mehr als 5 Prozent pro Jahr gestiegen ist (obwohl er aufgrund des Ausbaus der Erneuerbaren, wie der Autor darlegt, günstiger hätte werden müssen), ist nicht zuletzt der fehlenden Kostenwahrheit geschuldet.

 

Der Übergang vom „Öl- und Atomstaat“ hin zum „Solarstaat“ wäre nach Auffassung Achilles’ durch einen neuen Gesellschaftsvertrag zu erreichen, der – gegründet auf Legitimität und Partizipation – auf der Allianz eines gestaltenden Staates, einer innovativen Wirtschaft mit hoher Investitionsquote und erhöhten wissenschaftlich-technologischen Kapazitäten beruht (vgl. S. 107ff.).

 

 

 

Solares „Apollo-Programm“

 

Zusammenfassend plädiert Achilles für ein „Apollo-Programm“ für Solarstrom, das „Gemeinwohl vor Rendite stellt“ und die „Entwicklung von Bewusstsein zu seiner wesentlichen Ressource macht“. Konkret wirbt er für den Aufbau einer in Ansätzen schon bestehenden „BürgerEnergie AG“ zur „Findung und Umsetzung von Instrumenten zur Beschleunigung des Solarzeitalters“ (Interessierte und potenzielle Kapitalgeber finden dazu mehr unter www.visiongate.de). Um diese Vision in absehbarer Zeit auch zu verwirklichen, setzt der Autor auf den Einsatz von insgesamt zehn „Instrumenten“ (s. Kasten)

 

In Summe ein inspirierendes Plädoyer, dem breite Aufmerksamkeit und Unterstützung vonseiten der Betroffenen – das sind wir alle – zu wünschen ist. W. Sp.

 

 

 

Achilles, Olaf: Solarstaat: Energiekehre statt Energiewende. Wie wir die Gesellschaft mit Solarstrom entwickeln. Berlin: epuli-Verl., 2011. 169 S., € 19,80 [D], 20,40 [A], sFr 27,70

 

ISBN 978-3-8442-1283-9