Protestgesellschaft

Ausgabe: 1993 | 1

Harry Pross analysiert anhand aktueller Beispiele und Erscheinungsformen (u.a. Intifada, Bürgerinitiativen) das Phänomen "Protest" und begreift es als Möglich-  keit, künftige Entwicklungen wirksam zu beeinflussen. Der Publizist unterscheidet den "farbigen Abglanz" von der Sache und widerspricht der Meinung, daß "gegensprechen, sich widersetzen, vor anderen bezeugen ‚nichts bringt'". Die Bandbreite reicht von individuellen Leistungsverweigerungen über nonkonformes Verhalten bis hin zu kollektiv artikuliertem Protest in politischen Kundgebungen, Streiks und fundamentalistisch akzentuierten Aktivitäten. Im geschichtlichen Rückblick werden unterschiedliche Protestformen von der griechischen Polis bis hin zur Weimarer Republik analysiert. Thematisiert wird aber auch der Protest gegen das Mißverhältnis der Menschen zwischen Arm und Reich am Beispiel der Armenpflege kleiner Gemeinden und der "Welthungerhilfe" (Vgl. dazu auch Rezension Nr. 26). Weiters werden Symbole (Farben, Formen) und Rituale des Protests behandelt. Schließlich geht Pross auf die Gegenbilder gesellschaftlicher Ordnung in Form der Utopien ein. Diese entwerfen Möglichkeiten des Zusammenlebens, "nicht Rezepte für den einzelnen, und verlegen sie in die Zukunft, heraus aus dem gegenwärtigen Zustand des Geworfenseins und der gegenwärtigen Suche nach „Grenzpfählen'". Zwar sieht der Autor die Realisierung utopischer Gesellschaftsentwürfe als gescheitert an, doch selbst der gescheiterte Versuch ändert das Bewußtsein. Die in der Aufklärung begründete Forderung nach Freiheit des Denkens ist für Prass nach wie vor aktuell, weil diese nicht nur "Protest gegen die herrschenden Verhältnisse, gegen Krieg, Gewissenszwang und Fanatismus jeder Art" einschließt, sondern "vor allem Selbstkritik des Denkens, Widerspruch gegen die eigene Bequemlichkeit. Protest gegen Selbstgerechtigkeit". AA Verschiedene theoretische Ansätze und praktische Erfahrungen mit Geschichte und Perspektiven des zivilen Ungehorsams wurden vom "Komitee für Grundrechte und Demokratie" publiziert: Ziviler Ungehorsam. Traditionen, Konzepte, Erfahrungen, Perspektiven. Sensbachtal: Eigen-Verl., 1992. 345 S.

Prass, Harry: Protestgesellschaft. Von der Wirksamkeit des Widerspruchs. München: Artemis und Winkler-Verl., 1992. 269 S., DM 36,- / sFr 30,50 / öS 280,80