Nachhaltigkeit versus Resilienz

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„Hope for the best and prepare for the worst“ – so Dennis Meadows im Gespräch mit Gabriele und Wolfgang Sorgo, aufgezeichnet für das Jahrbuch Bildung für nachhaltige Entwicklung, das heuer zum zweiten Mal erschienen ist und die Fragestellungen der ersten Ausgabe nach den Bedingungen des Wandels (s. PZ 2/2013) fortführt. Resilienzstrategien hätten angesichts der gegenwärtigen Lage Vorrang gegenüber Langfriststrategien wie nachhaltige Entwicklung, meint Meadows und nennt hierfür sehr basale Dinge wie kleinsträumige Landwirtschaft, Vorratslager, Wasser- und Energiespeicher oder Hochwasserschutzdämme.

Elisabeth Freytag-Rigler vom österreichischen Lebensministerium konstatiert zwar, dass Strategien zur nachhaltigen Entwicklung derzeit in der Politik an Bedeutung verloren hätten („Die EU-Nachhaltigkeitsstrategie wurde keinem Review unterzogen, weil die Europäische Kommission das nicht wollte.“ S. 96), setzt aber auf mehr praktische Umsetzungen sowie auf den neuen Diskurs über Lebensqualität und ein anderes Wachstum. Resilienz und Nachhaltigkeit könnten einander ergänzen, verweisen aber auch auf Widersprüche, die zu reflektieren seien: Regionales Wirtschaften könne zur Resilienz der Region beitragen, man entscheide sich aber dann bewusst gegen Effizienzgewinne z. B. aus Spezialisierung zugunsten von Resilienz. Während Nachhaltigkeit auf einem Wertesystem basiere, etwa dass Menschen gleiche Chancen auf Entwicklung haben sollen, beschränke sich Resilienz auf Widerstandsfähigkeit (der eigenen Region).

Bedenkenswert und zugleich kritisch zu hinterfragen ist ein vom Systemtheoretiker Harald Katzmair vorgestelltes „Zyklen-Modell“. Katzmair rät uns, die Vorstellung von linearem Wachstum zu überwinden und soziale Systeme analog den Prozessen in der Natur als Abfolge von Wachsen, Verfall und Neubeginn zu deuten. Gemäß dem Phasenmodell von Buzz Holling könnten wir dann Entwicklung als Wechsel zwischen Wachstums-, Reife- und Reorganisationsphasen wahrnehmen. Letztere wären dann die Chance für etwas Neues. „Nach der Krise ist nicht der Abgrund, sondern der Aufbruch, die Chance und Notwendigkeit, wieder Pionier zu werden“ (S. 104) Katzmair setzt auf die Verbindung von schnellen und kurzen Zyklen der Innovation sowie langsamen und langen Zyklen des kulturellen Gedächtnisses, „alte Weisheiten, Dinge auf die man im Krisenfall zurückgreifen kann“ (S. 105). Und er hofft darauf, dass wir durch ein zyklisches Denken offener würden für Neues: „Wir werden die Probleme unserer Gesellschaft und Kultur (Vermögensungleichheit, Konsumerismus, Rassismus, Fundamentalismus, Nihilismus) sowie unseres Planeten (Erderwärmung, Overshooting, Biodiversitäts-Vernichtung etc.) besser verstehen und realistischere Strategien zu seiner Änderung entwickeln, wenn wir die Prinzipien resilienter, adaptiver Systeme verstehen und nicht moralische Karikaturen von komplexen Systemen zeichnen.“ (S. 107)

Die Übertragung ökologischer Funktionsprinzipien auf soziale Systeme bleibt freilich fraglich. So ist etwa die kapitalistische Akkumulationsdynamik auf Wachstum angelegt und Umbrüche gehen nicht immer – das wissen wir aus der Geschichte – friedlich von statten. Im Jahrbuch werden daher auch andere Disziplinen auf ihre Beiträge zur Transformationsfähigkeit befragt, Antworten darauf in der Psychologie, der Kunst und – naheliegender Weise auch in der Bildung gesucht. Der Sozialpsychologe Josef Berghold macht aus psychoanalytischer Sicht drei Hauptmotive für eine innere Verweigerungshaltung gegenüber Veränderungen aus: Gefühle der Hilflosigkeit gegenüber den realistischen Bedrohungen, Gefühle einer massiven Gewissensangst g der eigenen Mitverantwortung an diesen Bedrohungen sowie „Haltungen der Verweigerung gegen die radikalen psychologischen Konsequenzen, die sich aus den für die Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen notwendigen zivilisatorisch-politischen Neuorientierungen ergeben“ (S 15). Als Fluchtwege beschreibt der Autor das Prinzip des „Shooting the Messenger“, also die Bekämpfung der Überbinger der Botschaften, sowie das Verweilen in Passivität, Kurzsichtigkeit und Verantwortungslosigkeit, was Berghold als „radikalen Infantilismus“ (S. 19 bezeichnet. Marcel Hunecke, Autor von „Psychologie der Nachhaltigkeit“ (ökom, 2013), plädiert dafür, die Erkenntnisse der Positiven Psychologie für die Veränderungsbereitschaft fruchtbar zu machen. Sechs Ressourcen sind es demnach, die in sich gefestigte, kompensatorischen Formen des Konsums gegenüber resistente Personen ausmachen: Genussfähigkeit, Selbstakzeptanz, Selbstwirksamkeit, Achtsamkeit und Sinnkonstruktion.

Lernprozesse anregen

Mandy Singer-Brodowski und Uwe Schneidewind vom Wuppertal-Institut plädieren für die Integration von System-, Ziel- und Handlungswissen. Gerade letzteres werde heute jedoch noch zu stark vernachlässigt. Im Sinne der Transition-Theorie müssten der Problem-Analyse und der Visionsentwicklung vielmehr Experimente und Projekte zur Gestaltung des Wandels folgen, die schließlich zu Lernprozessen und der Diffusion in die Gesellschaft hinführen. Ansonsten würden wir in einer Ansammlung von „trägem Nachhaltigkeitswissen“ (S. 135) verharren. Und Peter Euler, Professor für Pädagogik an der TU Darmstadt, erinnert schließlich daran, dass eine an reflektierter Urteilsfähigkeit ausgerichtete Nachhaltigkeitsbildung im „Verstehen der Sachprobleme“ (Ernährung, Energie, Wasser, Stadtentwicklung, Mobilität, Artenvielfalt usw.) und der „politischen Konstellationen“ (globale Machtverhältnisse, multinationale Konzerne, Widerstandsbewegungen) gründet (S. 167). Bildung erfordere damit vor allem Dinge zu hinterfragen: „Wer über Nachhaltigkeit reden will, darf über die Rahmenbedingungen falschen, nämlich fast ausschließlich auf Kapitalverwertung ausgerichteten Wirtschaftens nicht schweigen.“ (S. 169)

Bleibt noch ein Hinweis, was die Kunst zur Veränderung beitragen kann. Im vorliegenden Jahrbuch wird dieser Part der kanadischen Schriftstellerin, Feministin, Gesellschaftskritikerin und Umweltaktivistin Margret Atwood zugeteilt – Gabriele Sorgo stellt ihre schwarze Zukunftsutopie „Die Geschichte von Zeb“ (Berlin-Verlag 2014) vor und stellte der Autorin einige Fragen.

Nachhaltigkeit: Resilienz

„Sich den Aussichten der auf uns zukommenden Umweltkatastrophen in ihrer ganzen emotionalen Wucht auszusetzen, würde viele Menschen in chaotische Panik stürzen. Das umso mehr, als viele politisch Verantwortliche sich zunehmend aus ihrer Verpflichtung stehlen, an glaubwürdigen Lösungen zu arbeiten.“ (Berghold S. 14)

„Die entscheidende Funktion der psychologischen Ressourcen in Zielrichtung auf ein nachhaltiges Verhalten liegt in der Förderung der individuellen Widerstandskräfte gegenüber kompensatorischen Formen des Konsums.“ (Hunecke S. 35)

„Resilienz kann in den Sozialwissenschaften als Möglichkeit der Erhaltung der Handlungsfähigkeit in Gesellschaften verstanden werden.“ (Bärlocher S. 110)

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