Markus Marterbauer und Martin Schürz sind seit vielen Jahren einschlägig ausgewiesene Experten, von denen der eine als Chefökonom der Arbeiterkammer Wien die gesellschaftlich-politischen Komponenten und der andere als mit Verteilungsfragen beschäftigter Psychotherapeut die individuell-psychologischen Aspekte ökonomischer und sozialer Not bestens kennt.
Das Buch gliedert sich in zwei Hauptteile. Während der erste sich mit der Mehrheitsgesellschaft aus Menschen, die von ihrem Erwerbseinkommen leben (Arbeitnehmer:innen, kleine Selbständige, Pensionist:innen) beschäftigt, nimmt der zweite uns in die „ferne Welt der Milliardärinnen und Milliardäre“ mit, wo vor allem von großen Vermögensbeständen gelebt wird.Wenn Ängste auch in beiden Gruppen vorhanden sein mögen, so bekennen sich die beiden Autoren doch für eine klare Schwerpunktsetzung in ihren Analysen und Schlussfolgerungen: „Die Ängste der Armen und der Erwerbstätigen nicht jene der Reichen sollen prioritär für die Wirtschaftspolitik sein.“ (S. 48)
Differenzierte Darstellungen
Im ersten Teil geht es um die Verteidigung und den weiteren Ausbau des Sozialstaats, dieses „wichtigsten und erfolgreichsten emanzipatorischen Unterfangen[s] der Geschichte“ (S. 344). Auch wenn dem österreichischen System attestiert wird, mit zu den „am weitesten entwickelten sozialen Sicherungssystemen der Welt“ (S. 56) zu gehören, so gibt es dennoch nicht wenige Aspekte, wo Menschen am unteren Ende durch den Rost fallen und in Armut leben müssen, mit allen damit verbundenen Folgen, wie z. B. einer deutlich verringerten Lebenserwartung. Neben einem Plädoyer für das Vollbeschäftigungsziel als wichtigem angstminderndem Leitbild einer jeden Wirtschaftspolitik fordern die Autoren auch eine Null-Armut-Politik. Dafür schlagen sie viele ineinandergreifende Maßnahmen vor, die u. a. von neuen Aktivitäten für Langzeitarbeitslose bis hin zu weiteren familienstützenden Aktivitäten im Bildungssystem reichen. Im letzten Kapitel dieses Teils gehen Marterbauer und Schürz der Angst vor dem „Unbehaustsein“ nach; für sie ist die Frage des Wohnens die neue soziale Frage schlechthin geworden, die durch viele zum Teil gegenläufige Interessenslagen für die Politik nur schwierig zu gestalten ist (Stichworte: Schaffen von Sozialwohnungen vs. Traum vom eigenen Häuschen).
Nicht zu übersehen ist jedoch, dass es neben dem breiten Wunsch nach einem angstmindernden Ausbau des Sozialstaats auch andere Interessen gibt. „Weil dieser Sozialstaat Ängste nimmt, attackieren Neoliberale ihn. Sie versuchen ihn als ineffizient, teuer und freiheitseinschränkend abzuwerten.“ (S. 48) Diese Angstmacherei wirbt für den Abbau von Steuern, damit letztlich auch für die Schwächung des Sozialstaats: Lebensrisiken, wie Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit, u. a. sollen wieder auf individueller Ebene geregelt werden, nicht in Solidarität mit den anderen.
Für die Überreichen in unserer Gesellschaft ist eine „Vermögensverteidigungsindustrie“ bestehend aus Steuer- und Wirtschaftsberatungskanzleien, politischen Lobbys und Thinktanks aktiv, um bestimmte wirtschaftspolitische Diskurse hintanzuhalten. Zu den mehr oder weniger tabuisierten Themen gehören seit vielen Jahren eine Vermögenssteuer und eine Erbschaftssteuer. Beide erscheinen schon aus Gerechtigkeitsüberlegungen angebracht, da heutzutage staatliche Leistungen primär über Abgaben auf Konsum und Arbeit finanziert werden, während die Besteuerung „von leistungsfreien Vermögenseinkommen gering und jene auf Vermögensbestandteilen inexistent“ ist (S. 271). In je einem eigenen Kapitel gibt es eine differenzierte Darstellung der gängigen Argumente und sehr detaillierte Vorschläge zur Ausgestaltung dieser beiden (wieder) neu zu erschließenden Einnahmequellen. Abschließend fragen sich die Autoren auch, was der immer stärker zunehmende Reichtum von Überreichen für die Zukunft eines demokratischen Systems bedeuten kann. Ihre Antwort lautet, es müsse eine gesellschaftlich ausverhandelte Obergrenze für Nettovermögen von Privaten geben, die sie – als „Vorschlag für den Beginn einer öffentlichen Diskussion“ (S. 363) – bei einer Milliarde Euro einziehen wollen.
Ein empfehlenswertes Buch
Das sehr empfehlenswerte Buch ist eine mit vielen Fakten und interessanten Vorschlägen angereicherte Beschreibung von zwei Grenzen, die für unser zukünftiges Wohlergehen mehr als sinnvoll erscheinen: einer vor Armut schützenden Grenze nach unten durch einen weiteren Ausbau des Sozialstaats, und einer demokratieschützenden Grenze nach oben, durch Besteuerung von Vermögen und dem Festlegen eines noch vertretbaren Maximalvermögens. Und die sechs Interviews, die in die Kapitel eingestreut sind, machen das Ganze lebendig und lassen die behandelten Aspekte in vielen Facetten noch einmal sehr konkret werden, etwa wenn die Millionen-Erbin Marlene Engelhorn darum bittet, höher besteuert zu werden.