Gemeinwesen gestalten – Lernen für nachhaltige Entwicklung

Ausgabe: 2009 | 4

„Es gibt“, so die Sozialwissenschaftlerin Susanne Elsen in der Einleitung zu diesem Brand, „keine ‚ökonomischen Sachzwänge’ und ‚Systemmechanismen’, die nicht auf bewussten Entscheidungen und Interessenkonstellationen beruhen.“ Dass also den vorherrschenden, zunehmend desaströsen Gesetzmäßigkeiten des Neoliberalismus durch eine solidarische, nachhaltig orientierte Gesellschafts- und Wirtschaftsform in Theorie und Praxis entgegengewirkt werden könne, stellen die in diesem Band versammelten Beiträge zur Diskussion und überwiegend auch eindrucksvoll unter Beweis. Katrin Muckenfuß und Elke Seyband diskutieren eingangs Gerechtigkeitskonzeptionen (Rawls, Senn u. a.), um Umverteilung und Anerkennung als die „zwei Seiten einer Medaille für die Entwicklung einer sozial gerechten Wirtschaftspolitik“ zu definieren und das Spanrnungsverhältnis diese beiden politischen Praktiken zu benennen. Denn dem Versprechen des sozialen Aufstiegs durch Bildung stehe die von Chr. Butterwegge zuletzt hervorgehobene Tatsache entgegen, dass letztere soziale Differenzierung und materielle Unterschiede befördert und verfestigt, solange nicht auch das Volumen an sinnvoller Arbeit gerechter verteilt wird. Christa Müller diskutiert in ihrem Beitrag das Potenzial der „Digital Natives“. Die junge Generation der „neuen Selbständigen“ würde – so ihre These – nicht nur Potenziale der neuen Technologien zu nutzen, sondern auch zu unterscheiden wissen, „was sie eigentlich im und von ihrem Leben will“ und „wie sie ihr Geld verdienen möchte“ (S. 49). Über post-fordistische Produktionsweisen hinausgehend, zeichneten sich zunehmend die Konturen eines „post-fossilen Lebensstils“ ab, „in dem das Selbermachen eine interessante Option auf die Zukunft darstellen kann“ (S. 51). Die Entwicklung „urbaner Subsistenz“ und die „Wiedereroberung des öffentlichen Raums“ seien als Beispiele der „ Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ auszumachen.

 

Berichte zur „Sozialen Ökonomie Basel“ und der von ihr angebotenen „transnationalen Regionalwährung „BNB“ (BonNetzBon) und zu den Erfolgen kommunaler Politik bei der Entwicklung des Gemeinwesens in Heidelberg – Beate Weber berichtet unter anderem über die Einrichtung eines Jungendgemeinderats, der bei der letzten Wahl nicht weniger als 70 Prozent der Jugendlichen dazu veranlasste, von ihrem Stimmrecht Gebrauch zu machen (S. 70) – verweisen auf die große Bandbreite bürgerschaftlichen Engagements.

 

A. Biesecker/S. Hofmeister problematisieren im umfangreichsten Beitrag des Bandes unter dem Titel „Was macht zukunftsfähiges Wirtschaften aus? Die Neuerfindung des Ökonomischen“ die „Trennungsstruktur der industriekapitalistischen Ökonomie“. Die Überbewertung von (kapitalorientierter, überwiegend männlich geprägter) Produktion und die mit ihr einhergehende Ausgrenzung der (vorwiegend von Frauen geleisteten) Reproduktion(sarbeit) erachten sie als „nicht zukunftsfähig“. Als tragfähige Alternaive werden dagegen die Grundzüge einer „reproduktiven Ökonomie“ entwickelt, „die unter der Gewissheit agiert, dass Produzieren und „Reproduzieren“, Herstellen und Wiederherstellen/Erneuern untrennbar zusammengehören, dass Produkt und Produktivität identisch sind. Sie [die reproduktive Ökonomie, W. Sp] weiß um ihre Verantwortung für die Herstellung eines gesellschaftlich erwünschten sozial-ökologischen Produkts. Ökonomisches Handeln ist hier mehr als marktbezogenes, geldvermitteltes Handeln. Zwar sind Märkte und ist Geld Bestandteil dieser Ökonomie, sie sind jedoch gesellschaftlich bewusst gestaltete und genutzte Mittel für nachhaltige Lebensprozesse.“ (S. 93f.) Die Autorinnen diskutieren Parallelen zu dem von Susanne Elsen (an anderer Stelle) entwickelten Konzept der „Gemein- wesenökonomie“, wobei sie „starke Überschneidungen“ in der „Integration der ökologischen Natur“ in die „reproduktive Ökonomie“, aber auch einen wesentlichen Unterschied ausmachen. Abschließend und wohl zu Recht betonen sie, dass der „Transformationsprozess in eine sozial-ökologische Gemeinwesensökonomie nicht geradlinig verlaufen und nicht ohne Anstrengung zu haben sein wird“ (S. 99). Auch wenn, wie die Autorinnen selbst eingestehen, noch manche Fragen offen und – wie mir scheint – manche Ansichten zu wenig differenziert erscheinen (ist denn nicht auch Reproduktion auf Märkte angewiesen?) – so enthält der hier entwickelte Ansatz doch viele anregende und diskussionswürdige Aspekte. Dies gilt auch für die weiteren in diesem Band enthaltenen Beiträge zur „Nutzung des Internets für die Entwicklung des Gemeinwesens“ (P. Arnold), zum „Weltmarkt der unsichtbaren Frauenarbeit im Haushalt“ (M. S. Rerrich), zur Rolle „arbeitender Kinder in der solidarischen Ökonomie“ (M. Liebel), einen Bericht (von Tilo Klöck) über die Arbeit der „Paul Klee Werkstatt“, einem Schülerunternehmen für Stadtteilmarketing in Milbertshofen (im Norden Münchens gelegen) oder für „Zwischen den Fronten“, einen Bericht über Frauenprojekte im Kaschmirkonflikt (gestaltet von E. v. d. Haide u. A. Vorbrugg).

 

Hier werden keine Patentrezepte, doch vielfältige und spannende Ansätze und konkrete Beispiele zur Entwicklung einer solidarischen Ökonomie und damit jede Menge Anregung zur Diskussion und Selbsterprobung geboten. Überaus empfehlenswert. W. Sp.

 

Gemeinwesen gestalten – Lernen für nachhaltige Entwicklung. Hrsg. v. Europ.  Masterstudiengang „Gemeinwesensentwicklung ...“  München. Neu-Ulm:

 

AG SPAK, 2009. 191 S., € 22,- [D], 22,70 [A], sFr 37,40 ISBN 978-3-930830-17-5