Zeitpraktiken. ExperimentierfeIder der Spätmoderne

Ausgabe: 1998 | 1

Dem Drei-Autor(inn)en-Kollektiv ist mit dieser Studie in der Sparte ”Edutainment" (unterhaltsames Wissen) ein interessantes und amüsantes Werk gelungen. Untersucht wurde das Zeit-Verhalten anhand des Gebrauchs von technischen (Nicht-)kommunikationsgeräten, nämlich "Anrufbeantworter" (richtig: Botschaftsabspiel- und Aufnahmeautomat), Videorecorder und Personal Computer. Die Studienergebnisse werden aber nicht in endlosen Tabellen und Prozentkuchendiagrammen ausgewalzt, sondern - gespickt mit zahlreichen Zitaten aus Interviews, in denen Corinna und Hugo, Du und ich zur Sprache kommen - gleichsam destilliert in Form von drei Zeit- und Kommunikationstypen präsentiert:

(1) Der ”Technikfaszinierte Wellenreiter" sieht Technik als Problemlöser par excellence, mit deren Hilfe Zeitgewinne erwirtschaftet werden, um Informationen so aktuell und umfassend wie möglich einzuholen, um Kommunikation immer verdichteter abzuwickeln. Immer auf dem neuesten Stand, schwimmt der "Wellenreiter" auf den immer neuen Wogen mit.

(2) Die Gegenfigur, der ”Kommunikationsbesorgte Skeptiker", will hinter die Dinge blicken, ihr Wesen erfassen. Seine Kommunikationspraxis ist auf intersubjektive Verstehensprozesse angewiesen, die der fortwährenden Vergewisserung der Welt dienen. Seine Art der Techniknutzung wie seine Weise, mit Zeit umzugehen, sind vor allem von seinem voraussetzungsvollen Kommunikationsverständnis her zu verstehen.

(3) Aus der Konfrontation dieser beiden Typen entstanden ist der ”Zeit jonglierende Spieler", der eigenwillig auf Zeit zugreift, die für ihn der thematische Kristallisationskern ist. Sie bildet die bevorzugte Sinndimension, aus der dieser Typus seine Stilisierung erfährt. In spielerischem Umgang mit Ereignissen löst er sich aus (zu) engen Zeitbindungen, läßt dem Zufall hinreichend Chancen. Dieser Spieler, der weder der Technikfaszination erliegt noch der Technikskepsis verhaftet ist, markiert quasi einen "dritten Weg" mit bisher kaum beachteten Veränderungspotentialen und Möglichkeitsräumen.


Sympathisch ist, daß die Autorinnen im Stil einer "Entdeckungsreise" ihre pointierten Forschungsergebnisse präsentieren, ohne einen bestimmten Zeit-Kommunikations-Techniknutzungstypus zu propagieren. - Für Bücher dieser Art dürfen auch künftig Bäume gefällt werden.

P A.


Hörning; Karl H.; Ahrens; Daniela; Gerhard, Annette: Zeitpraktiken. ExperimentierfeIder der Spätmoderne Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1997. 200 S., (stw; 1335) DM 18,80/sFr 18,-/öS 137,-