Welche Gesellschaften sind erfolgreich? Daron Acemoglu und James A. Robinson meinen, das Einbeziehen Vieler in Politik und Wirtschaft sei der Schlüssel. Ian Morris meint, starke große Staaten, wie sie Kriege hervorbringen, seien die Grundlage für Prosperität gewesen. Mark Mazower hingegen sieht Prosperität in Zukunft davon geprägt, dass es starke, transparente und formal abgesicherte internationale Institutionen gibt. Stefan Wally gibt einen Überblick über die Debatte.
Die Welt regieren
Im Unterschied zu Ian Morris beschäftigt sich Mark Mazower in “Die Welt regieren” gewissermaßen mit der anderen Seite der Medaille. Morris argumentiert, dass gewonnene Kriege große Gesellschaften und damit Sicherheit brachten. Mazower hingegen zeichnet nach, wie das Verhindern von Großreichen die Idee des Internationalismus und das Ringen um Frieden vorangetrieben hat.
Mazower beginnt seine historischen Beobachtungen mit dem Wiener Kongress. Dieses erste Modell einer internationalen Regierung versuchte zu verhindern, dass eine einzelne Macht jemals wieder dominieren könne, und um revolutionäre Umtriebe im Keim zu ersticken (S. 10). Er macht klar, dass dieser Internationalismus sich nicht im Widerstreit mit den einzelnen Staaten befand: Ganz im Gegenteil war es das Ziel, die staatliche Souveränität zu garantieren. Das zeigte sich auch darin, dass die supranationalen oder internationalen Institutionen dazu genutzt wurden, einzelstaatliche Vorteile zu erringen. „Den neuen internationalen Organisationen war daher von Anfang an eine unvermeidliche Spannung eingebaut zwischen den engeren nationalen Interessen, welche die Großmächte durch sie zu betreiben versuchten, einerseits und den universellen Idealen und der Rhetorik, mit der sie auftraten, andererseits.“ (S. 11)
Nach 1945 wurde diese Spannung durch die Dominanz der internationalen Einrichtungen durch die USA bestimmt. Dies wurde akzeptiert, da die Überzeugung weit verbreitet war, dass die Werte des amerikanischen Liberalismus identisch seien mit den Werten der Welt im Großen. (S. 13)
Krise Internationaler Organisationen
In der aktuellen Phase entwickeln sich die internationalen Institutionen „zu irgendetwas, was multizentraler und zersplitterter ist.“ (S. 14) Mazower beschreibt dies anhand der Europäischen Union. Ursprünglich sei die europäische Integration mit der Idee der Überwindung der Nationalstaaten, die als Bedrohung des Friedens gesehen wurden, entstanden. Die wirtschaftliche Integration sei von vielen als Instrument der politischen Integration gesehen worden. Betrieben wurde diese supranationale Institutionenbildung von einer kleinen Elite. Mit der neoliberalen Wende in den späten 1970er-Jahren kam es zu einem Wechsel: Mazower spricht vom „Pariser Konsens“ der französischen Führungskräfte von OECD, Europäischer Kommission und Internationalem Währungsfonds. Dieser Konsens zielte auf die Öffnung der europäischen Kapitalmärkte und gleichzeitig auf die Vertiefung der Europäischen Union. „In Wirklichkeit durch ein sehr niedriges Steueraufkommen eingeschränkt, blieb das `soziale Europa´ gegenüber dem höheren Ziel der fiskalischen Konvergenz und der Währungsunion immer nachgeordnet.“ (S. 414) Die Triebkraft der europäischen Integration ging an den Europäischen Gerichtshof und an informelle Komitees über, die in der Architektur der EU-Institutionen immer mehr an Bedeutung gewannen. Dies habe sich in der Finanzkrise ab 2008 deutlich bemerkbar gemacht. Die Regierungen standen den internationalen ökonomischen „Zwängen“ hilflos gegenüber, nationale wie internationale Institutionen waren nicht mehr zur Gestaltung der Situation in der Lage.
Mazower sieht diese Krise der legitimierten internationalen Organisationen auch nicht durch das Wachstum der Nichtregierungsorganisationen kompensiert. Er steht der Welt der NGOs skeptisch gegenüber, vor allem kritisiert er die Intransparenz. (S. 421) Er sieht deren Bedeutungszuwachs eher als Teil der Verlagerung von den Institutionen zu den Individuen und reiht sie in die Gruppe der Wirtschaftsakteure, Mäzene und Ratingagenturen ein. Er zeichnet das Bild eines Machtverlustes der transparenten und „öffentlichen“ Institutionen zugunsten von nicht demokratisch legitimierten Gruppen, Unternehmen, Verbänden und Agenturen auf internationaler Ebene.
Nicht nur das finanzielle Aushöhlen der Staaten und ihre zunehmende Machtlosigkeit gegenüber den Finanzmärkten hätten zu dieser Machtablöse geführt. Auch die ideologischen Strömungen der Staatskritik hätten das Auflösen der formalen Strukturen befördert. Mazower meint, dass Souveränität von Staaten viel zu leichtfertig ignoriert werde. Durch diese offene Tür seien aber nicht die Zimmermänner neuer stabiler, formaler Institutionen gekommen, sondern Schwarzmärkte, Schmuggel und kriminelle Netzwerke.
Mazower, Mark: Die Welt regieren. Eine Idee und ihre Geschichte. München: C.H. Beck, 2013. 464 S., € 27,95 [D], 28,80 [A], sFr 38,50