Die Nonstop-Gesellschaft - Vom Zeitmißbrauch zur Zeitkultur

Ausgabe: 1998 | 2

Beschleunigung, ausgedrückt in erlebbarem gesellschaftlichen und individuellen Zeitdruck, ist wohl eine der dominierenden Befindlichkeiten des ausgehenden Jahrhunderts. Den Grund für die Erhöhung der Geschwindigkeit in allen Lebensbereichen sieht der Wirtschafts-und Sozialpädagoge Karlheinz A. Geißler im Editorial dieser Sammlung nicht zuletzt in der Koppelung von Zeit und Geld („Zeit ist Geld"). Neben der Pausenlosigkeit des "Immer" ist auch die Zunahme der räumlichen Mobilität des "Überall" Ausdruck des Nonstop-Prinzips. Die permanente Beschleunigung und Höchstgeschwindigkeit hat aber ihren Preis: "Unsere individuellen Probleme des Zeitdrucks, der Hetze, des Nie-zu-Ende-Kommens hängen unmittelbar mit den sozialen und ökologischen Problemen zusammen, mit unserer nicht-nachhaltigen Art zu leben und zu wirtschaften." (S. 10)

Im einleitenden Aufsatz von K.A. Geißler und der Soziologin Barbara Adam wird unter dem Titel "Alles zu jeder Zeit und überall" eindrucksvoll das Dilemma der Beschleunigungsgesellschaft aufgezeigt Wir verlieren zunehmend die Einsicht in den Schutz natürlicher Systemgesetze mit der Folge, daß die Lebenserhaltungssysteme gefährdet werden. Gegensteuern kann hier nur, so das Autorenduo. ein gänzlich anderer Umgang mit der Zeit. Dieser zeigt sich in bereits ausgearbeiteten ökologisch orientierten Lebensstil- und Politikkonzepten. die mit den Begriffen Nachhaltigkeit. Vorsorgeprinzip und Zukunftsverträglichkeit umschrieben werden können. Darüber hinaus geht es auch um einen Schutz der Vielfalt von Zeitformen. Der Rhythmus von Aktivität und Ruhe, von Beginnen und Beenden, von Helligkeit und Finsternis sollte berücksichtigt werden. Auf dieser Basis schlagen die Autoren Konventionen zum Schutze der Zeitformen vor. "Nicht die Uhrenzeit (Technozeif). sondern die Systemzeiten der Ökosysteme, nicht Entleerung und Abstraktion, sondern Bezugnahme und Offenheit für die unzählig'en Eigenzeiten unseres irdischen Daseins geben uns die nötigen Grundlagen zum nachhaltigen, vorsorglichen und zukunftsfähigen Handeln." (S. 27)

Weitere Beispiele für die Beschleunigung des Lebens und deren Folgen sind die zunehmende Reduktion des erkenntnisstiftenden Prinzips von Versuch und Irrtum (Christine v.Weizsäcker), die Zeiterfahrungen von Kindern im Alter von 8 bis 12 Jahren, die Veränderungen der Essensgewohnheiten, neue Geschlechterbeziehungen sowie übermüdungsbedingte Unfälle im Berufs- und Freizeitverkehr u. a. m. Schließlich schlagen Martin Held und Klaus Kümmerer eine "andere Zeitkultur" vor, wobei ihnen eine Orientierung am Leitbild der öko-sozialen Zeitpolitik sinnvoll erscheint. Jedenfalls müßten sich zur Entschleunigung, so das Credo der Beiträge zusammengefaßt. Phasen hoher Aktivität. Geschwindigkeit und Beschleunigung mit Zeiten der Ruhe und Muße ablösen.

A.A.

Die  Nonstop-Gesellschaft und ihr Preis. Vom Zeitmißbrauch zur Zeitkultur. Hrsg. v. Barbara Adam. Stuttgart: Hirzel, 1998. 257 S. (Ed. Universitas) DM 68,/ sFr 63, - / öS 496,-