Bürgerbeteiligung durch lokale Bürgerpanels

Ausgabe: 2009 | 3

Ohne die seit den 1960er-Jahren entwickelten Formen der Bürgerbeteiligung gering zu schätzen, so seien diese mit einem Manko behaftet, der mangelnden Repräsentativität. Dies ist die Ausgangsthese des AutorInnenteams Helmut Klages, Carmen Daramus und Kai Masser der vorliegenden Studie. Ob Planungszellen, Consensuskonferenzen, Demokratie-, Szenario- oder Zukunftswerkstätten – immer komme nur eine kleine Gruppe von Menschen zusammen, die wohl engagiert seien, jedoch in der Regel keinen Querschnitt der Bevölkerung abbildeten und auch „bildungsferne“ Schichten nicht erreichten. Das erschwere es der Politik wie der Verwaltung, die Ergebnisse als repräsentative Rückmeldung der BürgerInnen auf deren Handeln und Entscheidungen wahrzunehmen. Gesprochen wird vom Dilemma der „Kleingruppenverfahren“, die zwar dialogisches Arbeiten ermöglichten, jedoch immer viele ausschließen („Makel der sozialen Selektivität“, S. 76). Delegationsmodelle wie Ausländer- oder Seniorenbeiräte seien etwas besser, funktionierten jedoch nach dem Prinzip der „Bürgervertretungs-Beteiligung“, die – wie Runde Tische oder Bürgerforen, meist zu neuen „Expertenzirkeln“ würden. Und Bürgerentscheide im Sinne direkter Demokratie würden zwar Repräsentativität ermöglichen, vorausgesetzt die Beteiligung erreicht ein bestimmtes Quorum, seien jedoch auf „Ja-Nein-Entscheidungen“ reduziert.

 

Eine in Großbritannien entwickelte und von den AutorInnen in fünf deutschen Städten unter wissenschaftlicher Begleitung erprobte Methode soll dem Problem der mangelnden Repräsentativität abhelfen: das sogenannte  „Citizen´s Panel“ bzw. Bürger-Panel. In Anlehnung an Repräsentativbefragungen werden BürgerInnen nach dem Prinzip der repräsentativen Stichprobe Fragebögen zu bestimmten Themen mit der Bitte um Mitwirkung zugesandt. Die Repräsentativität bezieht sich auf Altersgruppen, Geschlecht, in manchen Fällen auch auf Stadtteile. Die Größe der Panels schwankt zwischen 500 und 2500 Befragten. Um auch das Prinzip der Offenheit zu gewährleisten, werden die Fragebögen zusätzlich in den lokalen Medien, in der Gemeindezeitung sowie auf der Gemeindehomepage veröffentlicht. Und da Bürgerpanels zur Dauereinrichtung werden sollen – im Projekt wurden jeweils 2- 3 Befragungen pro Kommune durchgeführt – , werden auch so genannte „Panellisten“ erstellt, in denen sich jene, die einmal per Stichprobe ausgewählt wurden, eintragen können. Sie erhalten auch die Folgefragebögen und bilden somit eine Art „Kerngruppe“ der Bürgerbefragung, die – wenn gewünscht – auch als Potenzial für intensivere Beteiligungsformen gesehen werden können. Alle Rückmeldungen – auch jener, die sich über die Presse beteiligt haben – werden in die repräsentative Auswertung einbezogen. Überdies lässt sich auch abfragen, welche Themen in Folgebefragungen berücksichtigt werden sollen.

 

Das neben Repräsentativität und Offenheit nach Ansicht der AutorInnen für breite Bürgerbeteiligung dritte notwendige Kriterium, die Niederschwelligkeit, werde ebenfalls erreicht, da Bürgerpanels einen geringen (Zeit)-Aufwand erforderten und soziale wie persönliche Barrieren niedrig gehalten werden können. Die Fragebögen sind einfach gestaltet, bei Bedarf wird sogar Hilfe für das Ausfüllen angeboten, etwa im Falle von MigrantInnen oder „funktionaler Analphabeten“. Hohe Erwartungen werden auch in das Internet gesetzt, das Befragungen mit wenig Aufwand ermögliche. („Je mehr Teilnehmer/innen die Möglichkeit haben, einen Fragebogen im Internet auszufüllen, desto günstiger wird die Durchführung von Befragungen.“ S. 74).

 

Dem Nachteil von Befragungen mittels ausgesandter Bögen, dem Fehlen von face-to-face-Kontakten bzw. des Dialogischen, setzt das AutorInnenteam den Vorteil der größeren sozialen Repräsentativität entgegen. Da Bürgerbeteiligung unter modernen Bedingungen in einem komplexen organisatorischen Gefüge stattfinde, müsse sie, um erfolgreich zu sein, mit der „Entwicklung von Eigenkomplexität“ antworten (S. 85). Bürgerbeteiligung müsse in diesem Sinne „Aspekte eines indirekt verlaufenden, Schriftlichkeit, Formalisierung und kommunikative Distanz enthaltenden Dialog einbeziehen und Managementprinzipen zur Anwendung bringen [...], die nicht vom Modell der kleinen Gruppe, sondern vielmehr vom Modell großer Organisationen abgelesen sind.“ (S. 85f). Bürgerpanels, wie sie in dem von der deutschen Hans-Böckler-Stiftung geförderten und hier beschriebenen Projekt vermutlich erstmals im deutschsprachigen Raum durchgeführt wurden, sind sehr wohl geeignet als Rückmeldeinstrument für Politik und Verwaltung, um – wie die AutorInnen formulieren - „verlässliche Informationen über die Erwartungen, Meinungen und Wünsche der Bevölkerung“ (S. 35) zu erhalten. Intensivere, auch persönlichen Austausch ermöglichende Beteiligungsformen werden – so die Sichtweise des Rezensenten – deswegen nicht obsolet, da gerade eine auf Individualisierung und Vereinzelung ausgerichtete Kultur des modernen Erlebniskapitalismus (wieder) politischer Versammlungskulturen bedarf, in denen gemeinsam erarbeitet wird, wie wir in Zukunft leben wollen. Dem Anspruch der Repräsentativität kann durch gezielte Auswahl der Teilnehmenden in gewisser Weise nachgekommen werden – was in Zukunftskonferenzen schon immer praktiziert wurde, nämlich dass alle Beteiligtengruppen („Zugänge“) in einem Raum versammelt werden, wird von uns auch in Zukunftswerkstätten immer häufiger angewandt. In diesem Sinne ist kein Entweder-Oder angesagt, sondern eine Prüfung, welche Methode im jeweiligen Kontext zu den besten Ergebnissen führt. Unbestritten ist, dass durch das Internet neue Formen der Beteiligung und des Einbaus von „Feedbackschleifen“ möglich werden, ein Potenzial, das von Unternehmen immer mehr erkannt wird, wenn sie „Kundenwünsche eruieren“. H. H.

 

Klages, Helmut; Daramus, Carmen; Masser, Kai:  Bürgerbeteiligung durch lokale Bürgerpanels. Theorie und Praxis eines Instruments breitenwirksamer kommunaler Partizipation. Berlin: edition sigma, 2008. 111 S., € 8,90 [D], 9,20 [A], sFr 15,19

 

ISBN 978-3-8360-7232-8