Ohne Auto leben

Ausgabe: 2017 | 2
Ohne Auto leben

Ein zentrales Handlungsfeld im Kontext der Nachhaltigkeitswende, aber auch der Rückgewinnung von Lebensqualität in unseren Städten stellt die Mobilität dar. Der Berliner Verkehrswissenschaftler Bernhard Knierim – er war am 10. Jänner 2017 zu Gast in der JBZ – zeigt in seinem „Handbuch für den Verkehrsalltag“, dass und wie ein „Leben ohne Auto“ möglich ist. Im Einleitungskapitel „Warum wir mit dem Auto nicht mehr weiterkommen“ schildert Knierim die negativen Folgen sowie die meist externalisierten Kosten der Automobilität – das Anheizen des Klimawandels ist eine der unbeabsichtigten Nebenfolgen, aber nicht die einzige: Jährlich 4.000 Verkehrstote und etwa zehn Mal so viele Schwerverletzte allein in Deutschland zählen ebenso zur Negativbilanz des Automobilismus. Abgesehen von dem menschlichen Leid, das diese Unfälle verursachen, kostet dies auch viel Geld – 42 Mrd. Euro rechnet Knierim für Deutschland vor, die jährlich für die Behandlung von Verletzten anfallen. Knapp 50.000 Menschen sterben laut Studien frühzeitig wegen übermäßiger Feinstaubelastung. Groß ist auch der Flächenverbrauch des Automobilverkehrs: Fünf Prozent der Fläche Deutschlands werden mittlerweile für Verkehrsinfrastruktur aufgewendet, das sei vier Mal so viel wie für Wohnen (S. 17ff.). Die Auto-Fokussierung ist zudem sozial ungerecht, wie Knierim betont: jene mit den höheren Einkommen verursachen den größten Teil des Autoverkehrs, wohnen aber im Grünen. „Die Menschen, die den größten Teil der Folgen des Verkehrs abbekommen, sind jene, die kaum Schuld daran tragen.“ (S. 20)

Elektro-Autos sind für den Experten keine oder nur eine sehr begrenzte Lösung: der Ressourcen- und Flächenverbrauch lässt sich damit eben nicht einschränken. Knierim setzt daher auf Verkehr vermeiden und auf Alternativen zum Auto: Wie das gehen kann, zeigt er im Mittelteil des Buches an den Bereichen Alltagsmobilität, Einkaufen, Ausflüge und Urlaubsreisen.

Wichtig und wohl entscheidend ist aber der dritte Abschnitt, der den politischen Veränderungen gewidmet ist. 82 Prozent der Deutschen hegen laut einer zitierten Studie des deutschen Umweltbundesamtes den Wunsch nach einer Umgestaltung unserer Städte und Gemeinden derart, „dass man kaum noch auf das Auto angewiesen ist, sondern alle Wege zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen kann“ (S. 7). Dagegen stehen strukturelle Barrieren – die täglich zurückgelegten Distanzen haben sich in den letzten hundert Jahren verzehnfacht und liegen in Deutschland oder Österreich bei 40 Kilometern! –, aber ebenso falsche ökonomische Anreize wie Pendlerpauschalen oder steuerbegünstigte Dienstautos. Auch wenn Knierim vorrechnet, dass ein Leben ohne Auto insgesamt billiger wäre, vorausgesetzt die alltäglichen Wege lassen sich so gut hinkriegen, erzeugt die gebaute Infrastruktur vielfach einen Zwang zum Auto. Mit einer Raumordnung wieder kürzerer Wege, dem Ausbau der ÖV- und Radwegenetze sowie einer ökologischen Förderpolitik soll die Verkehrswende gelingen. Kleine Maßnahmen wie die steuerlich absetzbare Bahncard für Unternehmen stehen dabei neben mittelgroßen wie ein Tempolimit auf Autobahnen und großen Schritten wie Nulltarifen im Öffentlichen Verkehr, die durch eine allgemeine Nahverkehrsabgabe finanziert werden sollen. Wer also auf das Auto verzichtet, wird belohnt, weil er/sie aus der alle treffenden Abgabe Nutzen zieht.

Individuelle Verhaltensänderungen

Knierim, der auch die Privatisierung der Deutschen Bahn kritisiert, sieht in individuellen Verhaltensänderungen durchaus Potenziale („Jeder Kilometer, der weniger mit dem Auto gefahren oder mit dem Flugzeug geflogen wird, ist ein Schritt in die richtige Richtung.“ (S. 166). Aufgabe der Politik sei es aber, „diese individuellen Entscheidungen zu begünstigen und massentauglich zu machen statt sie zu erschweren“ (ebd.). Das vorliegende Handbuch bietet eine Vielzahl an Anregungen (inkl. Links) für beides. Hans Holzinger

Bei Amazon kaufenKnierim, Bernhard: Ohne Auto leben. Ein Handbuch für den Verkehrsalltag. Wien: Promedia, 2016. 176 S. € 14,90 [D, A] ISBN 978-3-85371-413-3