Groß ist ungeschickt

Ausgabe: 2010 | 4

„Groß ist ungeschickt“, so der Titel eines Bandes, der „Leopold Kohr im Zeitalter der Postglobalisierung“ nachgeht. Michael Breisky, Mitarbeiter der Kohr-Akademie in Salzburg, knüpft ebenfalls an die Finanzkrise an. Spätestens jetzt müsse klar geworden sein, wie wichtig die „Überschaubarkeit“ von wirtschaftlichen Vorgängen sei. „Wirklich verantwortungsvoll agieren und leben kann man nur im überschaubaren Raum“, ist der Autor überzeugt (S. 11) „Letztlich lassen sich alle großen Weltprobleme auf überzogene Projektionen und den Verlust ganzheitlicher Überschaubarkeit zurückführen.“ (S. 13) Die Globalisierung verlange heute zwar „mehr denn je nach Überschaubarkeit und ganzheitlichem Denken, sie macht aber eben diese Qualitäten so gut wie unmöglich“ (S. 15)

 

Einer Zusammenfassung der Kerngedanken Leopold Kohrs (etwa zur „Gefahr des Anonymen“, zum „Verhältnis von materialistischem Maximum und menschlichem Optimum“ oder  zur „optimalen sozialen Größe“) lässt der Autor Überlegungen zur Aktualität dieser Thesen („Kohr heute“) folgen. Er schildert einige „Umsetzungen“ in der Praxis („Kulturverein Tauriska“), erläutert „Überraschungen“ (Kohrs Kritik an der Europäischen Union sieht der ehemalige Diplomat Breisky nicht bestätigt) und sieht vor allem Bestätigungen im Bereich der NGOs als „Quasi-holistische Netzwerke“, in denen Menschen in kleinen Gruppen, aber vernetzt durch Informationstechnologien mit anderen zusammenarbeiten. „Gegenüber den klassischen Institutionen des Nationalstaats verfügen die NGos über deutlich mehr Flexibilität und können auch über Medien – und gelegentlich auch über die Straße – mehr Druck auf die staatliche Autorität ausüben.“ (S. 61) Der Autor ist überzeugt, dass Kohr diese neuen „virtuellen Dörfer“ in sein Weltbild eingebaut hätte.

 

„Willkommen in der Post-Globalisierung“ lautet schließlich der Ausblick des Autors („Kohr morgen“), in dem er - basierend auf Kohrs „optimistischer Menschlichkeit“ (S. 72) - Zukunftstrends beschreibt. Etwa: „Von materialistischer Selbstverwirklichung zu sozialer Spiritualität“, „Von der Wachstums-Philosophie zur Verteilungsgerechtigkeit“, „Lokalisierung durch Angst vor Terror und Kriminalität“, „Alternative Energiequellen als Motor der Lokalisierung“ oder „Wissen und intellektuelles Eigentum wird vogelfrei“.

 

Breisky befürchtet eine Krise der repräsentativen Demokratie, wenn öffentliche Leistungen immer weniger erbracht werden können. Auch hier sei die Aufwertung des Lokalen und „Das-auf-die-Menschen-Zugehen“ (S. 88) von Nöten: „In Gemeinschaften, die über die Grenzen der Überschaubarkeit gewachsen sind, wird sich repräsentative Demokratie nicht halten können“ (S. 88). Schließlich könnte, so der Autor, auch das Finanz- und Währungssystem implodieren, eine erfolgreiche „Realwirtschaft“ könnte dann vielmehr auf Barter- und Tauschgeschäften basieren, das „Geld seine Eigendynamik verlieren“ (S. 89).

 

Der Autor setzt auf das Zusammenwirken von „örtlicher Nähe“, „kultureller Gewissheit“ (im Sinne von Orientierung), „verfügbarer Zeit“ sowie „Neugier“ (als „Power“ gegenüber dem „data overload“). „Persönliches Engagement in Nachbarschaft und Internet, die Wiederentdeckung des Genossenschaftswesens oder die Gründung von Mikro-Unternehmen“ seien in diesem Sinne „große Ideen“ (nach Kohr), „deren kritischer Punkt noch in weiter Ferne liegt“ (S. 106).

 

Michael Breisky schließt seine Ausführungen mit einer Aussage von Robert Jungk über Leopold Kohr in einem seiner letzten Vorträge (Goldegg 1990), die gerne auch hier nochmals wiedergegeben werden: „Die Bedeutung Leopold Kohrs wird immer mehr steigen, indem die Menschen erkennen werden, dass seine Lehre keine Lehre der Kleinstaaterei und des Kantönligeistes [ist], sondern eine Lehre des Menschen, der mit der Wirklichkeit lebt; der nicht irgendwelche abstrakten Einheiten angehört, der sich nicht irgendwelchen Ideologien unterwirft, sondern der das Sichtbare, Gestaltbare, Erlebbare für wichtig hält.“ (zit. S. 109). H. H.

 

Breisky, Michael: Groß ist ungeschickt. Leopold Kohr im Zeitalter der Globalisierung. Wien: Passagen, 2010. 129 S., € 14,45 [D], 14,80, sFr 24,50

 

ISBN 978-3-85165-924-5