Die Menschen gehen auf die Straße, um ihre Rechte einzufordern. Die Proteste richten sich nicht nur gegen Despoten im arabischen Raum, sondern auch gegen die destruktiven Dynamiken der internationalen Finanzmärkte. Alfred Auer wirft einen Blick auf die Akteure, Ziele und Erfolgsaussichten des arabischen Frühlings und fragt, ob es einer „rebellierenden Demokratie“ gelingen kann, eine wirksame Politik zur Kontrolle der Finanzmärkte und zur Bekämpfung der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich zurückzugewinnen?
Der Aufruhr der Ausgebildeten
Das Jahr 2011 war das Jahr der weltweiten Proteste. Die eruptiven Dynamiken dieser sozialen Bewegungen spielen sich vor dem Hintergrund einer veritablen Staatsschuldenkrise und der Atomkatastrophe von Fukushima ab. „The Protester“ (From the Arab Spring to Athens, from Occupy Wall Street to Moscow) wurde 2011 vom Time-Magazin sogar zur Person des Jahres gekürt. Der Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar macht in „Der Aufruhr der Ausgebildeten“ jedoch bereits zu Beginn klar, dass es schwierig sei, die global entstandenen Protestszenarien auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Ihm gehe es deshalb darum die verschiedenen Formen des Protests aber auch ihre Träger darzustellen und insbesondere die Frage zu klären, ob sich der Aufruhr auf eine bestimmte Trägergruppe zurückführen lasse.
Bei der Lektüre wird schnell klar, dass das Protestieren heute anders motiviert ist als im Zeitalter kollektiver Angst vor einem Atomkrieg. Damals konnte man noch auf die Einsicht der Machthaber in Ost und West hoffen. Heute ist die Gefahr unmittelbarer. Der Autor zeigt, dass neue soziale Bewegungen aus Angst vor „sozialem Abstieg“ und Perspektivlosigkeit entstehen und aus der Gefahr, dass die Ausbildung nicht in einem angemessen bezahlten Job mündet. Deshalb ist sich Kraushaar sicher, dass es vor allem gut ausgebildete junge Menschen aus der Mittelschicht sind, die auf die Straße gehen. So haben in Marokko etwa 20 Prozent der HochschulabsolventInnen keine Arbeit; in Ägypten verfügt ein Drittel der 15- bis 29-Jährigen zwar über ein Fachabitur, gleichzeitig bildet dieses Drittel die Hälfte der Arbeitslosen der Altersgruppe. In Spanien ist die Hälfte der Jugendlichen unter 25 Jahren arbeitslos, etwa 920.000 Menschen finden keinen Platz am Arbeitsmarkt (Spiegel online v. 5.8.2012).
Globale Proteste
Insgesamt ist das Panorama der globalen Proteste beeindruckend, zeigt aber auch die Schwierigkeiten, „letzten Endes das politisch zu ernten, was zuvor auf den Straßen und Plätzen ‚gesät‘ worden war“ (S. 204). Offenkundig ist, dass die Quantitäten in der Mobilisierung und die Differenzen in den politischen Zielsetzungen höchst unterschiedlich sind. Deshalb lässt sich die Volksbewegung in Ägypten, die letztlich mit dem Sturz des Machthabers endete, und die Occupy-Bewegungen trotz ihres Slogans „99%“ (Wir sind die 99 Prozent, deren Leben von dem 1 Prozent bestimmt wird, die über die Ressourcen des Landes verfügen.) überhaupt nicht vergleichen und auch nicht als Protest des gesamten Volkes sehen. Und doch zieht Kraushaar letztlich Parallelen: „Den meisten der Akteure mangelt es in ihren Erwerbs- biografien hier wie dort an Aussichten auf eine auch nur annähernd gesicherte Perspektive.“ (S. 206) Gemeint sind neben dieser Perspektivlosigkeit die beruflichen Warteschleifen namens Praktika, die schlecht bezahlten Jobs, die unsicheren Renten, die Bonus-Zahlungen für Banker und die beinah überall grassierende Korruption (vgl. S. 206). All diese Attribute gelten für den Autor länderübergreifend. Den Protesten, so seine These, liegen insofern ganz überwiegend materielle Interessen und keine postmaterialistischen Motive zugrunde wie etwa die Sorge um den Arbeitsplatz, die Gründung einer Familie, der Statuserwerb oder die Zukunft insgesamt.
Was nun die Erfolgschancen der Proteste angeht, weist Kraushaar darauf hin, dass etwa die Occupy-Bewegung über keine politische, sondern lediglich über eine symbolische Macht verfüge: „Die Botschaft – am liebsten würden wir die ganze Wall Street besetzen wollen, was wir, sorry, in Wirklichkeit gar nicht können – löste ein gewaltiges Medienspektakel aus und verbreitete sich flugs um die gesamte Welt.“ (S. 211f.) Um politisch etwas verändern zu können, stehen dieser Bewegung, so der Autor, nur begrenzte Möglichkeiten zur Verfügung. Zum einen ist es der Appell und die damit verbundene Hoffnung, bei der Regierung Gehör zu finden, zum Anderen der durch demonstrative Massenmobilisierung erzeugte öffentliche Druck und damit schließlich der mühselige parlamentarische Weg über Parteien bei Wahlen Erfolg und so Aussichten auf die Durchsetzung eigener Positionen zu finden. All diesen Möglichkeiten räumt der Autor wenig Erfolgsaussichten ein und schlägt deshalb so genannte Hearings vor, in denen die Positionen von verantwortlichen Regierungsmitgliedern und ParlamentarierInnen mit denen von Sachverständigen und anderen ExpertInnen diskutiert und umgesetzt werden könnten. Für die Occupy-Bewegung ginge es jetzt darum, ein klares politisches Programm mit eindeutigen Forderungen und Zielen zu formulieren. A. A.
Kraushaar, Wolfgang: Der Aufruhr der Ausgebildeten. Vom Arabischen Frühling zur Occupy-Bewegung. Hamburg: Hamburger Edition, 2012. 253 S., € 12,- [D], 12,35 [A], sFr 21,-
ISBN 978-3-86854-246-2