Zukunftswissen und Bildungsperspektiven

Ausgabe: 1989 | 2

Waren es 1984 nur etwas über 10 % der bundesdeutschen Bevölkerung, die eine Abschaffung sämtlicher Atomwaffen in Europa für möglich hielten, so ist diese Zahl auf etwa 35 % angestiegen. Es fällt nicht schwer, diesen Gesinnungswandel auf die unvorhersehbar konstruktive Entspannungsinitiative Gorbatschows zurückzuführen, und doch zeigt dieses Beispiel wie unsicher - ja letztlich unhaltbar - die gradlinige Fortschreibung der Gegenwart ist, wenn von realistischen Prognosen die Rede ist. Dies gilt auch für die Frage, welches Wissen wir uns heute zur Bewältigung der Zukunftsaufgaben aneignen sollen, und welche Aufgaben dabei etwa "der Staat" übernehmen sollte. Daß die ernsthafte Auseinandersetzung mit der Thematik dennoch sehr ergiebig sein kann, belegt dieser Sammelband. Die These von eh. Zöpel, wonach Lernfähigkeit zu allererst bedeutet, "zunächst zu realisieren,  daß das bewährte und erfolgreiche Wissen nicht, von Dauer ist", kann allen Beiträgen als Motto vorangestellt werden. Die unabsehbare Zunahme des Wissens in immer kürzerer Zeit ist Kennzeichen der Wissenschafts- und Risikogesellschaft, auf die der Mensch angemessen reagieren muß. Wer weiß, daß für die genetische Kodierung nur eines Verhaltensmerkmals etwa 800 Generationen (16000) Jahre zu veranschlagen sind, kann die Dynamik dieses Wissenszuwachses besser ermessen. Welche Aussagen über berufliche Qualifikationsanforderungen, zukünftige Lebensformen und Arbeitsmarktstrukturen gemacht werden, kann hier nur skizziert werden. Es ist beispielsweise zu erwarten, daß 60 % aller Arbeitnehmer im Jahr 2025 Frauen sein werden, die wöchentliche Arbeitszeit 30 Stunden betragen und die Ruhestandsgrenze flexibel zwischen 50 und 70 Jahren liegen wird. In andere Richtung zielen die Beiträge von Per Dalin zur Zukunft der Schule und E. U. v. Weizsäcker über Alternativen der Hochschulpolitik. Während für Dalin die Schule in erster Linie ein Ort der Traditionsvermittlung ist, der u. a. als Lern-Markt entinstitutionalisiert werden könnte, plädiert Weizsäcker vehement für interdisziplinäre, praxisbezogene und projektorientierte Hochschulausbildung. Beiträge zur berufsbezogenen Erwachsenenbildung, lassen sich mit W. Schlaffke wie folgt zusammenfassen: "Ein Unternehmen ohne Bildungsarbeit ist ein Unternehmen ohne Kultur und Zukunft. Hervorgehoben wird zudem, daß Einrichtungen der Erwachsenenbildung weitgehend ohne staatliche Einflußnahme agieren sollten. '   Das" Forum Zukunft hat die hohen Erwartungen, die an diese Reihe gestellt werden durften, einmal mehr bestätigt.

Zukunftswissen und Bildungsperspektiven. Hrsg. v. Joachim J. Hesse (u.a.). Baden-Baden: Nomos-Verl., 1988.334 S. (Forum Zukunft; 3)