Zukunftsforschung historisch

Ausgabe: 2015 | 3
Zukunftsforschung historisch

image019Elke Seefried, Historikerin in München und an der Universität Augsburg, hat in jahrelanger Kleinarbeit die Geschichte der Zukunftsforschung aufgearbeitet. Beim Durchwühlen von Kisten, Regalen und Datenbanken hat sie aber nie den Überblick verloren. Ganz im Gegenteil: Ihr gelingt die Systematisierung eines Forschungsfeldes, das sicher nicht leicht mit Kategorien in den Griff zu bekommen war. Nirgends sonst ist die Geschichte dieses Forschungsfelds für diese Zeit genauer ausgearbeitet.

Die Geschichte der Zukunftsforschung beginnt mit Forschern, die mit einem normativ-ontologischen Verständnis an die Fragestellungen herangingen. Zu dieser Gruppe gehörten Carl-Friedrich von Weizsäcker und Bertrand de Jouvenel. Sie sahen ihr Ziel darin, wieder Ordnung und Frieden in der beschleunigten wissenschaftlich-technischen Moderne zu schaffen. Die Vorschau in die Zukunft wurde von dieser Gruppe als Kunst verstanden, die von den individuellen Fähigkeiten es Einzelnen abhing.

Es folgten Wissenschaftler, die einen empirisch-positivistischen Zugang wählten. Dazu gehörten Natur-, Sozial und Wirtschaftswissenschaftler wie Daniel Bell, Herman Kahn oder Karl Steinbuch. Auf der Basis von vorliegenden Fakten wollte man die Zukunft positivistisch vermessen. Diese Gruppe von Forschern war vor allen in den USA einflussreich, war dieser Ansatz doch leicht mit dem Empirismus, der dort hoch im Kurs stand, zu verbinden.

Die dritte Gruppe waren Forscher, die ihre Arbeit kritisch-emanzipatorisch verstanden. Dazu gehörten unter anderen Robert Jungk und Ossip K. Flechtheim. Hier nahm die Forschung den Anspruch auf, auch wünschbare Zukünfte zu entwerfen, man ging in Richtung partizipativer Gestaltung der Zukunft und Sozialplanung.

In allen Gruppen gab es immer wieder Anläufe, die Zukunftsforschung zu einer neuen Wissenschaft zu erheben. Das gelang jedoch nicht. Sie konnte sich nicht als eigenständige Wissenschaft mit festem Gegenstandsbereich und Methodenkanon etablieren.

Sehr wohl gelang es aber, die Zukunftsforschung zu institutionalisieren. Eine relevante Anzahl von Einrichtungen und Netzwerken entstand. Beginnend mit “futuribles“ von Bertrand de Jouvenel und der „Ford Foundation“ 1960/61 entstanden in vielen Staaten Organisationen, die unterschiedlich lang existierten. „Mankind 2000“ war eine davon, die sich als kritisch-emanzipatorische Einrichtung verstand und der Friedensbewegung nahe stand. Große Bedeutung hatte der „Club of Rome“, der im Selbstverständnis eines internationalen Expertenkreises agierte. Grundsätzlich dominierten bis zum Ende der 1960er-Jahre aber Studien, die die Machbarkeit von Anpassungen prüften und durchaus technikaffin waren.

Erst im Kontext der Studierendenrevolte von 1968 kam es zum Umschwung. Auch die Studie zu den „Grenzen des Wachstums“ des „Club of Rome“ (1972) und andere Arbeiten rückten immer mehr die Unsicherheitspotenziale der modernen Welt in den Mittelpunkt. Die Empiriker, etwa die Wirtschafsforscher von „prognos“, waren darüber hinaus verunsichert, nachdem sie die Wirtschaftskrise der frühen 1970er-Jahre nicht vorhergesehen hatten. So entstanden auch neue Methoden, Trendextrapolationen, quantitative Modellierungen und Computersimulationen bekamen das Delphi-Modell, Weltmodelle, qualitative und kybernetische Szenarien und auch das Modell der Zukunftswerkstätten zur Seite gestellt. Vor allem letztere, die von Robert Jungk und Norbert Müllert entwickelte Methode, rückte die Zukunftsforschung näher an den Partizipationsgedanken der Neuen Sozialen Bewegungen heran, die mit dem Ansatz viel anfangen konnten. In gleicher Weise wie sich die Zukunftsforschung den sozialen Bewegungen zuwandte, verlor sie Einfluss in der Ministerialbürokratie und in der pragmatischen Politikberatung. Nun generierte die Zukunftsforschung nicht mehr über Beratung ihren Einfluss, sondern begann diskursiv in der Öffentlichkeit zu wirken und entfaltete so politische Wirkung. Auch hier spielte Robert Jungk eine bedeutende Rolle.

Elke Seefried gelingt eine detailreiche, systematisch durchdachte und trotzdem gut lesbare Geschichte der Disziplin. Das Buch wird mit Sicherheit das Standardwerk zur Zukunftsforschung in den Jahren 1945 bis 1980 sein und noch oft zitiert werden. S. W.

Bei Amazon kaufenSeefried, Elke: Zukünfte. Aufstieg und Krise der Zukunftsforschung 1945-1980. Berlin: De Gruyter, 2015. 575 S., € 49,95 [D], 51,50[A] ISBN 9-783110-34163